Sonntag, 12. Juni 2016

Fünf Tage, vier Nächte in der Türkei.








Für ein paar Tage habe ich nun Malta verlassen. Ein Magazin hat mich beauftragt, etwas über die Küste der südlichen Türkei zu schreiben. Also habe ich LEVJE, die Gute, einfach 1.400 Kilometer weiter westlich im Hafen von Mgarr zurückgelassen und bin in die Türkei geflogen. In vier Tagen nun - vom äußersten türkischen Südwest-Zipfelchen, von Bodrum aus, 600 Straßenkilometer nach Osten an der Südküste der Türkei entlang. Genau die Strecke, die ich vor zwei Jahren mit LEVJE segelte - nur diesmal zu Land.

Und weil ich heute Vormittag Ince Seawitch, einer Seglerin, von Finike und dem dortigen Restaurant NESELI BALIK vorschwärmte, bin ich heute Abend, als ich in Finike eintraf, einfach dorthin gegangen.





Finike. Eine Marina, ein kleiner Küstenort 100 Kilometer vor Antalya. Im Norden und Osten der Stadt liegen große Orangenhaine, die im zeitigen April nach Orangenblüten duften. Weshalb ich beschlossen habe: Hier leben nur Orangenbauern. Aber das stimmt nicht. Im Städtchen sind es vor allem kleine Ladenbesitzer und Handwerker. Wenn ich in die Stadt gehe, komme ich mindestens an drei, vier kleinen verglasten Buden vorbei, garagengroß, mit zwei Rasierstühlen darin und einem Schild davor: "Berber". Barbier.

Weil Finike auch ein netter Mädchen-Name sein könnte und weil ich das Leben unter den erfrischend einfachen Orangenbauern viel angenehmer finde als das in manch teurer Touri-Burg, drum war ich mit LEVJE für einen Winter hier. Zwar ist es so, dass Orangenbauern gerne essen - an Restaurants gibt es in Finike keinen Mangel. Aber ein gutes Restaurant, meinte Ince Seawitch, das gäbe es in Finike nicht. Sie hat recht. Bis aufs NESELI BALIK. NESELI BALIK, gesprochen Nä:scheljih Ba:lik, heißt auf Deutsch eigentlich "Zum lustigen Fisch", und allein das ist schon bemerkenswert. Können. Fische. Wirklich. Lustig. Sein? So abwegig ist das nicht. Vielleicht werden sie einfach weggefangen, bevor sie richtig loslachen? Und sehen deshalb so todernst aus, wenn sie in der Fischvitrine des NESELI BALIK nach Art und Gattung, gereiht zu einer appetitlichen Mandala, liegen.

Von meinem unnachgiebig klugen Strategieberater-Freund Andreas habe ich gelernt: "Ein gutes Produkt muss die Erwartungen des Kunden übertreffen. Nur dann ist es erfolgreich."
Das NESELI BALIK ist immer voll. Man kann zwar drin sitzen. Aber meist sitzt man draussen, in der Gasse, unter freiem Himmel. Es gibt keinen Wein im NESELI BALIK, auch kein Bier. Damit ist man ernst in Finike, in dem die Lautsprecher der Muezzine (es gibt hier deren fünf, sechs) lauter aufgedreht sind als anderswo, das muss schon sein. Trotzdem finde ich an Finike sehr angenehm, dass die, von denen ich denke, sie seien Orangenbauern, trotz Lautstärke in beruhigender Selbstverständlichkeit weiter ihren Geschäfte nachgehen, als sei nichts. Über die Türkei muss ich öfter staunen.


Auch die Speisekarte ist überaus schlicht gehalten im NESELI BALIK. Ein Flippchart, Überbleibsel aus irgendeinem Strategie-Workshop ("Fehlt eins, Andreas?"), das ohne Beine auf dem Boden steht und einen gelben Zettel trägt, auf dem steht, was es heute Abend denn so gibt. Als da wären:

Wolfsbarsch mit Salat. 17 türkische Lira. Also Fünf Euro.
Mehräsche mit Salat. Auch fünf Euro.
Kennichnicht. Ist aber auch mit Salat. Und kostet auch nur fünf Euro.
Gemischte Fischlein. Mit Salat. Fünf Euro.

Und dann noch das Kleingedruckte. Ein paar Leckereien wie

***?
***?
Frittierter Kalmar.
Frittierte Muscheln.
Fischsuppe (nicht frittiert!)
Kartoffeln auf irgendwie.

Und dann ein Fischbrötchen, das es für zwei Euro gibt, das aber als die "Mutter aller Fischbrötchen" durchgehen könnte.

Wem das nicht reicht: der tritt an die vor dem Haus stehende Vitrine. Und sucht sich was aus. Der Orfoz, der Zackenbarsch, er schaut mich etwas beleidigt, wie Zackenbarsche nun mal sind, doch erwartungsvoll an. Aber ich allein bin zu klein für ihn.

Und dann gehts auch schon los mit uns. Vorspeise Oliven. Bröseliger Käse vom Markt hier in Finike, über den ich schrieb. Scharf gewürzte Tomatenpaste. Salat. Und: frittierte Muscheln auf Spießchen. Mit einem kleinen Schälchen frisch angemachten Joghurts, zum Eintunken der klirrend heißen Muscheln. Eine Art "Abklingbecken". 
















Erwähnte ich jetzt eigentlich schon, dass ich jetzt gerne einen Schluck eiskalten Weißweins hätte? Man kann es nicht oft genug wiederholen, allein: es hilft nichts. Meine Muscheln schwimmen im Wasser. Was aber nichts macht. Sie sind ein Gedicht.

Und während ich mich andächtig den frittierten Muscheln widme, betritt einer wie ich die Bühne, ein Fremder unter den Orangenbauern, genau wie ich. Ein Junge noch, Koreaner, begeistert empfangen von den jungen Wirtsleuten des NESELI BALIK, von deren dreien wortreich an der Vitrine auf Englisch beraten. Wo doch in Finike bis eben nicht einer Englisch konnte?


Und während ich noch über das Sprachenwunder von Finike grüble, kreuzt mein zweiter Gang vor mir auf: Ein Berg frittierter Fischlein. Alle knusprig gebacken. Ich kenne nicht einen von ihnen. Werde sie aber gleich kennenlernen.

Das mit dem eiskalten Weißwein ist aber auch gar zu blöd.

Und so sitze ich, Fremder unter Fremden und mit fremden Sachen vor mir, als der Lautsprecher über der Gasse zweimal knackt. Und der Muezzin anhebt, um sein eineinhalb Jahrtausende altes Gebet in den Himmel über Finike zu schicken.

Ich? Bin glücklich. Spätestens jetzt sollte klar sein, dass das mit dem "Erwartungen übertreffen" zwar goldrichtig, aber so einfach nicht ist. Denn zunächst ist da ja mal gar nichts mit "übertreffen":

Die Speisekarte im NESELI BALIK ist lausig kurz.
Das mit der "großen Auswahl wie nie" vergessen wir im NESELI BALIK auch ganz schnell.
"Hätten Sie hier auch...?" ist auch nicht drin.
Der Wein... Ach, lassen wir's.

Was ist es nun also, was hier übertroffen wird?



Ganz einfach. Das NESELI BALIK ist ein netter Ort. Es bietet mir an diesem Abend ein Zuhause. Klar bin ich hier, weil ich Hunger hatte. Aber in einem einfach guten Restaurant kriege ich mehr als eine Antwort auf "Hunger". Der Mensch lebt nun mal nicht vom Brot allein. Ja doch: Ich fühle mich an diesem fremden Ort irgendwie geborgen. Geniesse das Essen. Und freue mich über die einfach guten Dinge, die ich da sehe. Geschichten von Männerfreundschaft und Zusammenhalt, die an der Wand hängen. Ernste, stolze Gesichter, ein Gruppen-Selfie aus einer anderen Zeit, mit Mädchen darin, als hätte es jemand eben auf der Straße fotografiert und hinein kopiert ins Foto:



Es ist halb elf. Eine alte Frau aus der Küche bringt türkischen Kaffee. In dem engen, kleinen Raum, der Küche, arbeiten fünf Frauen, sie plappern fröhlich unter ihren Kopftüchern. Die jungen Wirtsleute, Brüder, verschwistert, verschwägert, eine Bande, die wie Kletten zusammenhält, räumen die Tische ab. Es lehrt sich, das NESELI BALIK. Solange, bis nur noch die leeren Tische und Bänke in der Gasse stehen.

Doch halt. Einer ist noch, der hier auch etwas gefunden hat, das seine - Fremder unter Fremden - Erwartungen übertraf. Einsam sitzt er, der Junge aus Korea. Und genießt ein Shrimp nach dem anderen, andächtig, versonnen, einem frühen koreanischen Glück nachsinnend. Wie er so dasitzt, auf dem Foto unten, verstehe ich: Warum sie für ihn schlagartig Englisch können.

Ist schon ein schöner Ort. Das NESELI BALIK, das Wirtshaus "Zum lustigen Fisch", in Finike.































Mare Più: heißt "mehr Meer". 
Und wenn Sie mehr Geschichten 
über die Menschen am Meer lesen wollen:



Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
• Italien
• Griechenland
• Türkei
zu bereisen. Und in fünf Monaten: Von München nach Antalya zu reisen.


Auch als Film:  


Demnächst auch in den CINEPLEX-Kinos 
in Aichach und Germering bei München.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

"... ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis."
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

"... eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre."
YACHT im Mai 2015 

"Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt."
SEGELREPORTER im Dezember 2015

"... ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend."
LITERATURBOOT im Juli 2015

"Absolut empfehlenswert!
Für Reisebegeisterte ist 'Einmal München-Antalya, bitte!' definitiv zu empfehlen."

RATGEBER.REISE. im Juni 2015


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