Sonntag, 16. August 2015

Unter Segeln um Kreta: Unterwegs im Gewitter. Um die Westspitze Kretas.


Jedes Gewitter ist anders. Und keine zwei gleichen sich. Jedes Gewitter läuft anders ab. Und jedes wartet mit Gefahren ganz eigener Art auf.

In Chania blieb ich länger als gedacht. Und dies, weil Chania sich als bisher schönster Ort an der kretischen Nordküste entpuppte. Ein fesselnde Mischung aus venezianisich und türkisch, ein brodelndes Etwas aus TECHNO-Youngstern und Pferdekutschen, aus Kopfsteinpflaster und gut gemachtem Tourismus. In einem der nächsten Posts in ENTLANG AN KRETAs NORDKÜSTE werde iich mehr über Chania schreiben.

Das mit der TECHNO-Musik war dann aber doch einer zuviel. Denn die Zentren des TECHNO-Beats liegen in Chania - als hätte es sich verschworen - dort, wo der Segler ankert: Am Ankerplatz vor der nur von Steinböcken bevölkerten Insel Agios Theodori. Und in Chania's rieisigem Hafen 10 Meter von den Gastliegeplätzen entfernt. Also hält man es, obwohl man noch gerne in Chania verweilen möchte - ich konnte mich nicht sattsehen an dem, was ich da fand - zermürbt von zuwenig Schlaf nicht aus und zieht weiter.

Der Morgen war windstill und dumpf. Schwül. Ein paar dicke Regentropfen aus dem Nichts, die gleich wieder verschwanden, als ich im Coffeeshop meinen Orangensaft schlürfe und über die byzantinische Stadtmauer sinniere - sie hat es mir angetan, weil die Byzantiner in den Bedrängnissen der Völkerwanderungszeit, es musste schnell gehen, einfach alles vermauerten, was sie an der Antike fanden: Gesimssteine, Kapitele, ganze Säulen sind in der Stadtmauer vermauert, ein Lehrbuch der antiken Baustile, vor meinen Augen in der Stadtmauer. 

Der Wetterbericht ist normal: kein Wind, maximal 2-3 bft. Etwas Regen. HNMS WARNINGS, der lakonische Nationale Griechische Wetterdienst, sagt für KITHIRA SEA und WEST KRITIKO Thunderstorms voraus. Gewitter. www.blitzortung.org, zeigt tatsächlich eine breite Front aktiver Blitze weit im Westen an, vom Peloponnes bis weit südlich, aber die Front bewegt sich seit drei Stunden nicht. Ich schaue mich um. Außer den paar dicken Tropfen eben, die irgendwie aus dem Nichts kamen, fast nur blauer Himmel. Es sollte halten bis heute Abend. Also los.

Meinen Kurs habe ich zum Ak Spathi gesteckt, das weit in den Norden ragende Kap. Und sollte schneller als erwartet doch etwas heranziehen: Sind es von der Insel Agios Theodori nur etwas mehr als eine Stunde in den Fischereihafen von Kolumvari, genau südlich von Ak Spathi am Fuß der Halbinsel.

Es ist später Vormittag, und Agios Theodori liegt weit hinter mir, als die Welt um mich herum grau wird. Nicht das leiseste Lüftchen, nur ein Grau ringsum, aus dem ich dann auch eindeutig im Motorgeräusch Donner höre, dummerweise genau aus der Richtug meines Ausweichhafens Kolumvari südwestlich von mir.


Also weiter Richtung Ak Spathi, nach Nordwesten. Dumm nur, dass ich dann den nächsten Hafen, den von KIssamos in der Nähe von Kretas nordwestlichster Insel Gramvousa, erst gegen 17 Uht erreichen werde. Und bis dahin kann viel passieren.

Regen setzt ein. Erst leicht. Ich liebe die Tage auf See im Regen, wenn das Meer spiegelglatt ist, irgendwie bleigrau schillernd, harmlos, das ganze Gegenteil des ungebärdigen Wesens an einem stürmischen Tag. Der Regen wird dichter. Ich habe keine Segel draußen, also nicke ich nur kurz, als mir der alte Merkvers einfällt:

"Kommt der Regen vor dem Wind,
Skipper birg die Segel geschwind."

Die Welt wird immer grauer. Eine Yacht auf Gegenkurs. Langsam kriecht sie um Kap Spathi herum, das Grau hat sich nun hinter mir zu einer dichten grauen Masse  geballt, aus der es donnert. Die Yacht auf Gegenkurs hat aufgestoppt. Bug zum Unwetter, als würde der Skipper einen Augenblick verharren. Und warten. Warten auf das, was sich da entwickelt, was vor ihm steht.  Die Yacht verharrt stehend im Regen auf der weiten Wasserfläche, den Bug dem Unwetter zugewandt, unverwandt. Wie ein Stier in der Arena. Plötzlich ist klar: dass das Gewitter hinter mir nicht wie erwartet von West nach Ost zieht, sondern umgekehrt: Von Ost nach West. Wo ich eben noch dachte, alles hinter mir zu haben, habe ich jetzt plötzlich alles vor mir. Das Gewitter: Es verfolgt mich. Und kommt auf die stehende Yacht zu, die wenige Augenblicke später in der grauen Wand verschwunden ist. 


Wind kommt auf aus dem Osten. Auch das ist ungewöhnlich. Ostwind, der LEVJE nun ohne Segel nach Westen schiebt, Richtung Ak Spathi. Das Grau wird dichter, der Regen nimmt weiter zu, der Wind weht jetzt so kräftig, dass es den Regen trotz aufgespanntem Sonnensegel von achtern den Niedergang hinuntertreibt. Also das Steckschott eingesetzt, und das Schiebeluk zugezogen. Als ich den ersten Ausläufer von Ak Spathi erreiche, kommen die Blitze näher. Vergingen vorher 10 Sekunden zwischen Blitz und Donner, sind es jetzt nur noch vier oder fünf. Das ist nah, 1.200 bis 1.600 Meter.


Ich schaue zum Ak Spathi hinüber. Plötzlich ein Blitz, der oben irgendwo in die Felswand einschlägt. Dann keine zwei Sekunden später ein Donnerschlag. Das war jetzt echt nach, Mist. Das Eine ist: dass die Versicherungsexperten von PANTAENIUS und von SHOMAKER bei unseren Interviews für das Buch GEWITTERSEGELN uns handfest mit Zahlen bestätigten, dass Blitzeinschläge auf Yachten äußerst selten und zuallermeist im Hafen, am Landstrom hängend, zu Schäden führen. Das Andere ist: wenn der Blitz einfach 500 Meter entfernt über der Yacht in eine Felswand einschlägt. Statistische Gewißheiten zerfallen augenblicklich wie modrige Pilze.

Dann steigen in mir Bilder auf eines barocken bayrischen Welttheaters vom jüngsten Gericht, "... hat ein Buch herausgebracht über GEWITTERSEGELN... Daheim bleiben hätt' er sollen...", aber kaum schießen mir derlei Gedanken in den Kopf: da lichten sich die Wolken über Ak Spathi. Die Sonne bricht hervor, das Gewitter, es zieht weiter nach Nordwesten, Richtung Kithira, Und ich: schlage gleich nach dem Kap, unter dem sich winzig, winzig ein Schlauchboot verkrochen hat, um an der scharfen Felsenkante, die einer Wetterscheide gleicht, clever abzuwarten, aus welcher Richtung er nun wehen wird, der Wind, ich schlage gleich einen Haken nach Süden, auf den Hafen von Kissamos zu.


Im Sonnenschein empfängt mich der äußerste Westen Kretas. Ich ziehe Lifebelt, Schwimmweste, Segeljacke aus. Und Kreta endet, wie es für mich weit vor einigen Wochen weit im Osten begann, vor dem Strand von Vai: als überraschend grüne Insel, jetzt mitten im August. Und als wäre es noch nicht genug mit Atlantikstimmung und Atlantikwetter, verdichtet sich der Himmel, kaum dass ich eine Viertelstunde noch vom Hafen von Kissamos entfernt bin, erneut. Und keine 300 Meter östlich von mir ist alles grau in grau. Und der Regenbogen signalisiert mir: Dass es doch kein bayrisches Weltenende-Gericht geben wird. Zumindest heute nicht.





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