Sonntag, 5. April 2015

Die vergessenen Inseln: Karfreitags auf Mallorca.

Pictures: Special Thanks to Katrin von Canal.
Um das gleich mal klar zu stellen: Nein, zu den vergessenen Inseln gehört Mallorca am Karfreitag sicher nicht. Das üppige Angebot an Flugverbindungen auf die Insel kündet mit noch üppigeren Preisen von regem Besuch. Autoverleiher haben kundige Schliche gefunden, in diesen Tagen das zweieinhalbfache des eigentlich gebuchten Tarifs einzuheimsen. Orte, die vor drei Monaten noch vernagelt, verlassen, vergessen waren, haben die Bretter vor Ladentüren, BURGER KING-Filialen und Buden mit Badelatschen entfernt. Und wo einem wenige Monate zuvor die Landstraßen durch die menschen- und autoleere Tramuntana vollkommen allein gehörten, da sind jetzt Pulks schrill gekleideter Männer auf zwei Rädern unterwegs. Prozessionen, Umzüge, Schwärme, große Blasen schrill neon-bunt Gewandeter auf Rennrädern, die sich mit pfeilschnellem Sirren die Serpentinen hinunterbewegen oder unter mühevollem Ächzen und Spotzen die Serpentinen hinauf. Je nachdem.


"Komische Spanier", sagen die Deutschen erstaunt, wenn sie aus dem Verleiher-FIAT 500 serpentinenlang auf das neonfarbene Auf und Ab bunter Männer-Hinterteile kucken. "Todos Allemanes", sagen die Spanier, wenn sie über die österliche Invasion der Sirrenden, Zirpenden nachdenken, die ihre Landstraßen in ein neonfarbenes, verstopftes Etwas verwandeln. Aber so einfach ist das diesmal nicht mit den Etiketten, gehören der community doch auch Engländer, Holländer, Franzosen an. 

Tatsächlich sind die Botschaften der Rennradelnden an ihre Umgebung auf ihren Umzügen von vielerlei Art. Die Kleidung sendet nachdrücklich Erinnerung aus, in welchem Jahr des Herrn wir uns aktuell befinden. Plärrt Namen heraus, die uns an gewichtige Hersteller von Radspeichen, Schlauchventilen, Fahrrad- oder sonstige Gummis erinnern. Die Helme katapultieren uns in die Jahre zurück, in denen wir in den großen Sommerferien in Londoner Kinos zum ersten Mal den Film ALIEN sahen. Gestandene Männer, die sich die Namen von Konzernen auf die Brust heften, über deren Produkte sie sich, so sie wieder vom Rennrad ab- und wieder im normalen Leben eingestiegen sind, doch des Öfteren auch mal ärgern. Brillen, in allen Schattierungen, Farben und Formen, auf die nicht mal der legendäre Ausstattungsschöpfer Jean-Paul Gautier im Film DAS FÜNFTE ELEMENT gekommen wäre. 

Wenn fünf dieser Wesen ein Lokal betreten, dann ist es tatsächlich: als kämen sie von einem anderen Stern ganz am Rand unserer Galaxie. Gewandet in High-Tech-Textiles, gehüllt, hermetisch geistig gebettet in eine Wolke von Sportmarketing und die unübersehbaren Attribute der Zugehörigkeit zu einer außerirdischen Bruderschaft rasierter Männerbeine, dessen Mitglieder eben erst auf der Erde gelandet sind, mit kühnem Blick auf die lange, gefahrvolle Reise zur Erde zurückschauend. 

Die Lust am Verkleiden: sie wohnt dem Menschen inne.

Zu ganz anderen Bruderschaften haben sich die Einwohner des Ortes Pollenca zusammengeschlossen. Es ist SEMANA SANT. Und weil nicht Weihnachten, sondern Ostern das höchste Fest im katholischen Ritus ist, stellen die Bewohner von Pollenca Jahr für Jahr von "Dijous Sant", den man bei uns den Gründonnerstag nennt, bis zum "Dilluns de Pasqua", der bei uns Ostermontag heißt, Unerhörtes auf die Beine: Umzüge. Prozessionen. Messen. Oratorien. Drinnen und Draußen. Oben auf dem Calvari. Unten im Ort in den Straßen Pollenca's.


Tatsächlich ist, was am Gründonnerstag und Karfreitag stattfindet, ein Schauspiel der anderen Art. Gründonnerstag Abend wimmelt der Ort von Kapuzen-Männern, die sich in und um Kirchen, in engen Gassen, Wegen, mit Kreuzen, Schäferstäben, Laternen bereitmachen. Bereit machen für die Prozession. Wahrscheinlich hat sich der ganze Ort verkleidet, unter weißen, schwarzen, roten, blauen Kapuzen stecken Männer, Frauen und Kinder, wer nicht im Chor ist von den Bewohnern oder im Orchester oder auf einer der Bühnen mit Herodes oder den Kreuzabnehmern, der steckt unter einer Kapuze und reiht sich ein in die lange, lautlose Prozession, die nur ein einsamer Trommelschlag begleitet. Und das Klirren der meterlangen Eisenketten an den Füßen der wilden Gestalten, die den langsamen Schritt kreuztragenden Jesus begleiten.


Ein Ort spielt und lebt die Passionsgeschichte, für sich. Der ganze Ort ist Bühne, Mitspieler in einem Spiel von großer Perfektion und Eindringlichkeit, auf das sich alle lange Monate vorbereitet haben.


Höhepunkt ist am Freitag Nacht: die nachgespielte Kreuzabnahme, oben, ganz oben auf dem Kalvarienberg, und der langsame Umzug der Kapuzenmänner schweigend, nur vom Schlag einer Trommel begleitet, die steilen Stufen des Kalvarienberges hinunter. Und weil das unter den Kapuzen bei allem Ernst von Getuschel, Geraschel begleitet ist, weil der Gesang des Frauenchores so gar nichts Altkatholisches an sich haben, darum ist das Ganze auch ein munteres Spiel, das so gar nichts von der inquisitorischen Düsterkeit an sich hat, der dies Schauspiel wahrscheinlich einmal entsprang. 


Herodes auf dem Lebendbild stellt eine erheiternd plautzig-arrogante Miene zur Schau. Die Legionäre, die bei der Kreuzabnahme mit ihren Lanzen das Kreuz oben auf dem Berg umstehen, sind kreuzbrave Familienväter und keine Schlagtots. Und das Evangelium, vorgetragen in fünf Sprachen, ist alles andere als hermetisch abgeriegelter Kauderwelsch. Sondern eine Geschichte eines Mannes, der zu Unrecht sein Leben verlor. 



Karfreitag in Pollenca. Im großen, jahrelangen Disput zwischen meinem besten Freund Andal und mir: ob die Welt denn nun eine bessere zu werden im Begriff ist, neige ich eindeutig seinem Optimismus zu - soweit dies Pollenca und seine Bewohner betrifft.

Das Meer aber: es weiß von alledem, was am Karfreitag um die dritte Stunde geschah - nichts.





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