Donnerstag, 7. Juni 2018

Mallorcas wilder Norden. Oder: Einschlafen auf dem Boot in den Bergen.


Auf meiner ersten Etappe für mein neues Buchprojekt 
um die europäische Westküste herum erreichte ich von Sizilien kommend 
nach 5 Tagen Segeln die Balearen. 
Was ich von Landurlauben gut zu kennen meinte, entpuppte sich vom Meer wahrhaft als: 
Die vergessenen Inseln.



Eine der schwierigsten Dinge, die man im Leben unternehmen kann, ist: Sein Verhalten zu ändern. Nicht die großen Dinge im Leben, nein. Die kleinen Dinge im Alltag sind die schwierigsten: Das Handy im Restaurant ausgeschaltet lassen. Zwei Kilo abnehmen. Seiner Partnerin voll und ganz zuhören, sie anzusehen, wenn sie erzählt. Voll und ganz in diesem Augenblick und nirgendwo anders zu sein.

Die kleinen Verhaltensänderungen: Sie stellen uns immer wieder vor unerhörte Herausforderungen. Ich segle nun viele Jahre. Doch immer wieder ist es für mich eine der größten Herausforderungen als Einhandsegler, im Hafen die Leinen loszuwerfen und abzulegen. Beispiel gestern: In Pollenca sind die Vorhersagen für die nächsten beiden Tage eher schlecht.
Im Norden: Regen. Gewitter. Schwachwindig.
Im Süden: Wind aus südwestlichen Richtungen - also aus der Richtung und auf dem langen Weg, auf dem ich eigentlich um Mallorca herum nach Westen gehen will.

Ich überlege hin. Ich überlege her. Wenn ich losfahre, dann geht nur die kürzere Nordroute. Regen? Gewitter? Lieber doch noch einen Tag im Hafen bleiben? Lieber die Sicherheit des Hafens? Wer weiß, was mich draussen erwartet.



Doch irgendetwas in mir ist in all den Jahren klüger geworden. Es weiß, dass mich draußen zwar die Ungewissheit erwartet. Es weiß, dass mich draußen auch Schönheit erwartet, während die träge Sicherheit des Hafens trügerisch ist. Aufbrechen ist eine Kunst - und Kunst erfordert Anstrengung und Mut. Ich atme tief durch. Und werfe gegen halb zwei die Leinen los. Um auf dem kürzesten Weg in den Westen Mallorcas zu gelangen, nach Sóller und Andratx. Entlang an den Bergen der Sierra de Tramuntana, Mallorcas wildem Norden. 

Draussen ist natürlich alles anders. Statt Schwachwind erstmal 5bft. von vorn. Statt Regen in der Nacht Regen am Nachmittag. Blöde Wellen. Später Wind aus allen Richtungen. Doch dies alles wiegt nicht viel. Denn was ich sehe und dort draußen finde, wo kaum ein anderer an diesem Regen- und Gewittertag unterwegs ist, ist dies:Segeln an menschenleeren Klippen und Steilküsten entlang. Mallorcas abweisende Nordküste ist - gemessen vom Kap Formentor bis zur westlichsten Insel Dragonera - gerade 45sm lang. Sie ist der kürzeste Weg, um die Insel zu passieren. Doch auch der für den Segler unfreundlichste. In dem 75 Kilometer langen Abschnitt findet man kaum Buchten, keine Schlupfwinkel, in denen man sich vor dem gefürchteten Nord verstecken könnte. Und bis auf einen Hafen, eben Sóller, keine Ausweichmöglichkeit, wenn das Wetter mal rau wird. Während Levje an den Felswänden entlanggleitet, während ein Schauer niederprasselt, dass sich das Bimini über mir vor Regenwasser ausbeult, denke ich: Wieviele Wracks wohl dort unten an den auf 50, 60 Meter Tiefe vor den Klippen an den steil abfallenden Wänden liegen mögen. Wieviel unentdecktes es dort unten zu entdecken gäbe: Wracks griechischer Händler auf dem Weg nach Westen - so wie jenes vor den Klippen der Halbinsel Uluburun, das ich in den Vergessenen Inseln beschrieb. Wracks römischer Frachter und französischer Frachter, alle zerschellt, weil sie lieber den kurzen Weg statt des langen nahmen. Und weil sie gescheitert sind, uns wie eine Zeitmaschine ihre Gegenwart dort unten auf dem Meeresgrund in kleinsten Artefakten überlieferten.

Eigentlich war mein Tagesziel ja Sóller. Doch ich bin so fasziniert von der Felslandschaft und dem was ich da sehe, dass mich irgendwann die Häuser einer kleinen Bucht zwischen den Klippen faszinieren. Ich beschließe, Gewitter hin oder her, die Stadt Stadt sein zu lassen, und die kleine Bucht anzusteuern, in der irgendwo in den Bergen schon zwei Segler liegen. Als ich in die enge Bucht einlaufe, platzen natürlich genau in diesem Moment die Wolken und der nächste Schauer geht nieder. Das ist gut so - denn der Regen drischt die Wellen platt, auch wenn ich den Grund nicht erkennen kann. Ich steuere im Regen Levje um die Ankerlieger herum, lasse den Anker fallen und fahre ihn fest ein. Er hält auf Anhieb.


Als die Regenwolken aufreissen, erkenne ich Details. Ich liege mit Levje unter Mallorcas höchstem Berg, dem Puig Major, der über Levjes Mast von 0 auf über 1.440 Meter aufragt. In der kleinen Cala Tuent gibt es ein paar Häuser. Alles sieht friedlich aus. Ich beschließe die Nacht hier zu bleiben.


Und während ich von der Bucht hinausschaue aufs offene Meer, wo sich nördlich der Bucht die Gewitterwolken ballen und trotzdem ein Segler gemächlich auf dem regenglatten Meer nach Westen strebt, denke ich mir. Ich werds nie lernen. Es wird mich jedes Mal wieder Mühe kosten. Mich Anstrengung kosten, die Leinen loszuwerfen. Und aufzubrechen. Doch ich weiß jedesmal, dass es sich fast immer lohnt, die Anstrengung auf mich zu nehmen. Und nur selten lohnt, aus Angst vor dem Ungewissen eine Aufgabe, eine Ziel, ein Vorhaben nicht anzugehen. 


2 Kommentare:

  1. Wirklich sehr eindrücklich beschrieben - toll!!!

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  2. Hallo Thomas,

    habe ja selbst schon zweimal Mallorca umsegelt und kann jeden Deiner Worte nur unterschreiben. Toll erzählt!
    LG,
    Dirk

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