Mittwoch, 24. Juni 2015

Durch die südöstliche Ägäis: Die vergessenen Inseln: Die Palmen von Vai.

Typische für die menschenleere Ost-Ägäis: Die Insel Kasos zwischen Karpathos und Kreta. Karg, kahl - ein heißer Stein im tiefen Blau. Dass die Ost-Ägäis nicht überall so ist, zeigt der nachfolgende Beitrag.
Anders als am Vortag weht so gar kein Wind, als ich von Karpathos am frühen Morgen ablege und weiter Richtung Westen segle. Vorbei an dem Wrack des gestrandeten Frachters, der an der Südspitze von Karpathos zwischen den Felsen liegt. Niemand beseitigt das Wrack. Die Jahre, Wind und Wellen kümmern sich darum. Vorbei an der Insel Kasos, die karg und kahl im Meer liegt. Ein heißer Stein, ein gewachsener Fels im tiefen Blau, auf dessen Hügelkuppe einzig ein Haus steht. Sonst: Nichts.

Das Meer ist unbewegt an diesem Tag. Ein leises Lüftchen an der Südwest-Spitze von Kasos, das ich ausnutze und die Segel setze. LEVJE, die Flautenläuferin: aus einem Hauch an vorlichen Wind holt sie wieder einmal knapp fünf Knoten heraus, wir halten aber zu weit südlich, Kreta ist noch über 30 Seemeilen entfernt. Minute um Minute halte ich Ausschau: dass der leise Wind, der um die Südwestspitze von Kasos herumhaucht, langsam nördlicher drehen möge. Dass sich endlich wie jeden Tag die Schaumkronen in Nordwest zeigen, die den Wind ankündigen. Dass er stärker werden, endlich auf Nordwest drehen möge. Meltemi, wo bist Du heute?

Er läßt sich Zeit. Brav dreht er nach Nordwest. Und bleibt heute eben ein Hauch, der uns langsam übers unbewegte Wasser zieht, dort, wo sonst Starkwind bläst. Na dann halt langsam.


Kreta steigt am Nachmittag langsam aus dem Meer auf, als der Meltemi endlich kommt. Aber statt karger Felsen leuchtet die Insel grün, die kleinen vorgelagerten Inseln im Norden sind mit niedrigem Grün bewachsen. Je näher wir kommen, desto mehr habe ich den Eindruck: dies muss Irland sein, die grüne Insel. Oder Schottland. Alles ist grün, aus der Ferne sieht es aus wie Gras und Moos, die Ostküste Kretas: kein kahler Fels, sondern grün.

Unseren Ankerplatz finden wir in der Abenddämmerung. Weil die Bucht von Vai mit Bojen gesperrt ist, ziehen wir in der Dämmerung eine Bucht weiter nördlich. Und im Morgenlicht dann dies:



Die Palmen von Vai. Die Legende erzählt: Piraten, die in der Bucht ankerten, hätten die Früchte mitgebracht und ihre Kerne am Strand ausgespuckt. Wahr daran ist, dass es die Kretische Dattelpalme Phoenix Theophrasti nur einmal gibt auf der Welt: nämlich hier im Osten Kretas. Früchte tragen sie keine mehr - oder nur ungenießbare. Sie sind vermutlich Jahrhunderte alt - jedenfalls an der Stelle, an der ich sie finde: Stämme entwachsen verfallenden, undurchdringlichen Strünken von meterdickem Umfang, fast ist es, als wäre mitten in jedem der Strünke eine Behausung für einen zotteligen Einsiedler. Aber in die Behausung hinein kann man nicht, so dicht wachsen die Stämme daraus empor. Ein Zauber geht von den Palmen aus, als ich allein am Sandstrand liege: Ein Knacken, wenn der Wind durch die langen Palmwedel streift. Ein Rascheln, wenn die gefiederten Arme aneinander reiben. 
Es ist: als würden sie etwas erzählen, die Palmen von Vai, etwas in ihrer Sprache, das ich nicht verstehe. Von den Piraten, die sie von weither mitbrachten. Von der Basilika, von der nur noch Grundmauern am Hang stehen. Deren marmorne Türschwelle mit ihren halbkreisförmigen Riefen vom christlichen Leben der Menschen vor Hunderten Jahren erzählt, bis Kreta osmanisch wurde. Von den Hippies, die in den 70ern ihr Lager trommelnd am Strand von Vai aufschlugen, die Palmwedel als Brennholz nutzten, bis die Kommune einschritt. Und den Versuch eines anderen Lebens vom Strand von Vai verbannte.

Vielleicht erzählen sie von alldem: Die Palmen von Vai.



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Montag, 22. Juni 2015

Durch die südöstliche Ägäis: Von der Türkei nach Kreta, Teil 3: Chalki.Wo der Schwamm herkam.


Ein klein wenig sieht Chalki ja so aus wie das Renaissance-Gemälde von Pierro della Francesca über DIE IDEALE STADT. Gleich an gleich schmiegen sich die Häuser in die Hänge, in Grundriss, Ausrichtung, Proportion und Dimension so, als hätte ein Städteplaner mit kühnem Federstrich sie vom Reißbrett weg gefertigt. Chalki auf der gleichnamigen Insel: die ideale Stadt?

Am Morgen segle ich von der kleinen Insel Seskli bei Symi unmittelbar vor der türkischen Grenze los. Kurs Süd, westlich von Rhodos entlang, das in der Ferne liegt, zur Inselgruppe um Chalki und Alimia. Wie immer bleibt sich der Wind hier in der südlichen Ägäis treu: am Morgen gar nichts, aber pünktlich um zwei ist er da. Aber weil ich dann schon längst mich zwischen diesen Inseln befinde, erwartet mich der Wind dort mit einem vielfältigen Irgendwas: Mal Meltemi in seiner reinen Form, mit 5 Beaufort aus Nordwest und da, wo er sich frei entfalten kann. Als ich in die große Bucht des unbewohnten Alimia einfahre, ein astreiner Süd mit 5-6, in die große Hafenbucht von Chalki hineinsegelnd legen die Fallböen trotz 2. Reff LEVJE drei Mal flach aufs Wasser. Um sie dann 50 Meter bekalmt wie auf einem Ententeich einfach auf der Stelle - liegenzulassen. Also wieder ausreffen: und langsam, langsam, im langsamen Schritttempo bei leisem Lüftchen das große Rund der Stadt in der Bucht absegeln.

Die ideale Stadt ist aber nur die eine Seite Chalkis. Die Insel wird oft mit Symi verglichen, was Aussehen und Geschichte angeht: Genau wie Symi einst Heimat der Schwammtaucher, als mit der Industrialisierung die Menschen in den Großstädten das wöchentliche Vollbad für sich entdeckten. Von einigen Ausnahmen abgesehen, kam regelmäßige Körperhygiene und Waschen in der Geschichte der westlichen Menschheit eher spärlich vor. Noch in der frühen Neuzeit, zum Beispiel in der Pracht von Versailles, war Baden trotz prächtigster Kleider als ungesund verpönt, man übertünchte Körpergeruch lieber mit Puder, und Zähneputzen war noch weit, weit am Horizont entfernt. Man stank, und weil alle stanken, fiel's nicht so auf. Aber jetzt, ab 1870 herum, war einmal wöchentlich gründlich waschen in Mode. Und wer das raffinierter betrieb, der machte das: mit einem Badeschwamm! Und der kam - aus der Ägäis. Vor allem England war führend im Import der Naturbadeschwämme, man hatte dort das Vollbad um einige weitere Raffinessen bereichert: Indien-Reisende hatten neben Tee auch das Wort und die Sache "Shampoo" aus Indien mitgebracht. Der Export der Badeschwämme von den Inseln nach England brummte, das Deutsche Reich führte im Jahr 1880 Badeschwämme im Wert von 7.067.000 Mark ein. Die Anwendungsgebiete für Schwämme wurden immer mehr: In der Medizin zur Trockenlegung von Wunden, zur Verhütung, und, und, und. Symi und Chalki, aber auch andere Ägäis-Inseln wie Kalymnos wurden reich, und englische Historiker überliefern aus Chalki's Gassen das sinngemäße Wort "Solange die Bank von England steht, wird Geld nach Chalki fließen". 

Ein Irrtum, wie sich zeigen sollte. Ihr Erfolg wurde den Schwammtauchern zum Verhängnis: Um die Mitte des 20. Jahrhunderts gelang im Labor die Erfindung des synthetischen Schwamms, und dessen Herstellung in Fabriken trat ihren Siegeszug an. Es war, wonach Silicon Valley heute fieberhaft sucht: Der klassische Fall einer "disruptiven Innovation", die die bisherigen Profiteure eines Geschäfts einfach aus der eben diesem abrupt wirft und die Geldströme in andere Richtungen lenkt. Plötzlich blieben die Schwammtaucher von Symi und Chalki auf ihren Schwämmen sitzen.

Und so endete die Geschichte vom Aufstieg der Schwammtaucher. Viele von Ihnen wanderten aus, die meisten nach Florida, nach Tarpoon Springs, wo sie ihr Geschäft des Schwammtauchens auch nach dem Krieg fortsetzten. Und weil sie die Daheim nicht vergaßen und in die neue Armut der alten Heimat Geld schickten und die Not linderten, drum benannten die dankbaren Einwohner von Chalki ihre Hauptstraße in "Tarpoon Springs Road." Heute leben noch um die 300 Einwohner fest auf Chalki, die Flucht von der Insel hält, genauso wie auf anderen griechischen Inseln weiter an, und wären da Albaner, Bulgaren, Russen, die mittlerweile ein Viertel der Bevölkerung stellen und vor allem das wirtschaftliche Rückgrat der Insel bilden: dann wäre es - wie auch auf vielen anderen griechischen Inseln - schlimm bestellt um Chalki.

                                                          Weiterlesen bei: Was ist heute los auf Erikoussa. Hier.
                                                         Weiterlesen bei: 7 Tipps für das Segeln in Griechenland. Hier.


Ich aber beschließe, heute nicht in der Stadt zu bleiben, sondern mit LEVJE nach Süden zu gehen, und in der Bucht von Podemos einsam vor dem Strand zu ankern. Wo LEVJE leise in der Dünung schaukelt, bis sich um Mitternacht herum der Prophitis Elias, der 600 Meter hohe Berg, harte Fallböen in die Bucht hinunter schickt und LEVJE an ihrem Ankerplatz hart hin und her schwingen läßt. Bis sie am Morgen noch zunehmen, mich aufwecken und mir im Sonnenaufgang einen Blick auf die Johanniterburg auf dem höchsten Gipfel von Chalki schenken.





Freitag, 19. Juni 2015

Durch die südöstliche Ägäis: Von der Türkei nach Kreta: Rhodos oder:Warum die Welt heute besser ist.


Zu den Dingen, die dem Leben in unseren Breiten Sicherheit geben, gehört die Gewißheit: Wenn's mal kracht, kommt der Krankenwagen. Früher gab es ja nur solche mit einem ROTEN KREUZ darauf. Heute gibt es unterschiedliche: SAMARITER und JOHANNITER oder MALTESER steht öfter drauf. Wie so oft sind es Namen, die aus einer Welt jenseits der unseren stammen.

Von der Türkei auf Rhodos angekommen, versuchen wir, einen Liegeplatz im nördlichsten der drei Häfen an der Nordost-Seite der Insel, in Port Mandraki zu finden, um einzuklarieren. Einklarieren: das bedeutet für den, der mit dem Schiff aus der Türkei herübersegelt und von Asien nach Europa hinein will, Papierkrieg. Und geduldig vier Stationen abzulaufen:
• zuerst mit den Pässen zur Küstenwache.
• dann zum Hauptposten der Küstenwache.
• dann zum Zoll.
• dann zur Grenzpolizei.

                      Weiterlesen bei: 7 Tipps fürs Segeln in der Türkei. Was man darüber wissen muss. Hier
                      Weiterlesen bei: 7 Tipps fürs Segeln in Griechenland. Hier.

Aber schon weit vor der Einfahrt steht Mandraki's Hafenmeister auf seiner Mole und signalisiert uns abwechselnd mit wild gekreuzten Armen und abweisender Geste: Hier gibts kein Reinkommen. Mein näher Heranpirschen hat nur zur Folge, dass seine Gesten noch entschlossener und abweisender werden, wo ich doch nur fragen will: Wo ist hier die Zollpier, um für die Halbtags-Prozedur des Einklarierens anlegen zu können? 
Die Antwort ist knapp: Zollpier gäbe es nicht. Ich möge doch da ankern, wo die zwei Katamarane lägen. Vor den Felsen. Hier in der einzigen Marina auf Rhodos wäre jedenfalls gar kein Platz.

Wie so oft verdanken wir dieser harschen Abweisung etwas Schönes: nämlich einen wunderbaren Liegeplatz auf offener Reede zwischen AIDA (noch so ein alter Name aus einer anderen Welt) und den Festungsmauern, die errichtet wurden von: Den JOHANNITERN. Und dass sie von den Johannitern errichtet wurden ist ungewöhnlich genug.


Gehen wir also zurück in die Zeit des ersten Kreuzzugs. Eigentlich war das ein Irrsinns-Unterfangen: Um das Jahr 1095 predigte ein Mann, von Beruf Papst und nicht ganz uneigennützig, dass ein 5.000 Kilometer entfernter unwirtlicher Gebietsstreifen am östlichen Ende des Mittelmeeres unbedingt erobert werden sollte. Die Idee an sich war schlechterdings abwegig, und hätte es sich um einen unwirtlichen Gebietsstreifen hinter "Sidi Abseits" oder sonstwo gehandelt, wäre es den Leuten gleich gewesen. Aber da dieser unwirtliche Gebietsstreifen, von dem der Mann Jahr um Jahr sprach, Schauplatz jener Geschichte war von einem anderen Mann, der öffentlich kluge Dinge darüber gesagt hatte, wie das Zusammenleben unter den Menschen besser funktionieren könnte und dafür von der Obrigkeit wegen Aufmüpfigkeit ans Kreuz geschlagen worden war: wegen dieser Geschichte bekam die Idee Sprengkraft. Im Frühsommer 1098 war es soweit: Eine Armee von geschätzt 25.000 Menschen machte sich auf den Weg und marschierte los. Ritter, Bauern, Bettler, Vagabunden, Abenteurer. Ohne 50er Sonnencreme und Red Bull, ohne Fleece und Jochen Schweitzer, ohne Imodium und Ray Ban. Einfach so, durch Hitze, durch Staub, durch Seuchen, durch feindliche Angriffe von Männern auf kleinen Pferden mit Pfeil und Bogen, die Rum-Seldschuken waren. Dass sie überhaupt ankamen, war ein Wunder. Auch wenn die Hälfte die Anreise nicht überlebt hatte. Die andere Hälfte aber schaffte etwas noch Größeres: die Eroberung Jerusalems. All dies vollzog sich unter großen Entbehrungen, größtmöglicher Grausamkeit, Progromen gegen Juden noch beim Abmarsch, Massakern an Christen und Nichtchristen im Feindesland.

In jenen Jahren war es um die Versorgung Erkrankter und Verletzter schlimm bestellt. Das gesamte medizinische Wissen von Griechen und Römern war in der westlichen Welt verloren gegangen, es existierte vereinzelt davon in Klöstern und an den jungen Hochschulen. Die Entdeckung des Blutkreislaufs war noch 600 Jahre entfernt, die von Antibiotikum und Desinfektion noch 800 Jahre. Hospitäler? Heilpraktiker? Orthopäden? Apotheken? Narkose? Gab es nicht. Wer erkrankte oder verwundet war, blieb meist auf sich gestellt. Die Erfindung des Berufes "Arzt" ließ auf sich warten, "Bader" oder "Feldscher" kamen auch erst 250 Jahre später  auf den Plan. Wer krank wurde, dem halfen: Gebete. Kräuter. Und die "schmutzige Medizin": das Auflegen von Amuletten, Knochen, von getrockneten Kröten, Beeren, derlei. Und weil einen Mann das Elend, die Krankheiten, die Verletzungen, die Wunden, die er gesehen hatte, dauerte: darum gründete er in Jerusalem in einer bestehenden Pilgerherberge eine Bruderschaft, die sich um all die Kranken und Verwundeten kümmerte: Den Ordo Hospitalis Sancti Johannis Ierosolimitani, den Johanniter- oder auch Hospitaliterorden. Das war - 150 Jahre vor Franz von Assisi - etwas Neues: Eine Organisation mit Menschen, die sich um andere kümmern, denen es nicht so gut geht. Das entsprach der Idee des Mannes, der am Kreuz gestorben war, schon eher als in der Gegend herumziehen und Andersgläubige abschlachten. Es war in seinem Geiste.

Das Hospital von Jerusalem war ein Erfolg, was die Menge an Hilfesuchender dort angeht. Bruder Gerhard, der Gründer und erste bekannte Vorsteher des Hospitals von Jerusalem, schrieb um 1120 in ungewöhnlicher Klarheit: "Unsere Bruderschaft wird unvergänglich sein, weil der Boden, auf dem diese Pflanze wurzelt, das Elend der Welt ist, und weil, so es Gott gefällt, es immer Menschen geben wird, die daran arbeiten wollen, dieses Leid geringer, dieses Elend erträglicher zu machen."

Aber bei der guten Idee der Krankenpflege blieb es schon damals nicht. Ehrgeiz gehört nunmal zum Menschsein. Neben der Krankenpflege nahmen die Johanniter dann auch die Bewachung der Kranken in ihr Programm auf. Dann die Bewachung der Krankentransporte. Dann die Abwehr der Heiden von den Krankentransporten. Dann die Abwehr der Heiden überhaupt. Dann die Rückeroberung des Heiligen Landes. Und zuletzt die Vertreibung der Heiden. Aus der Idee, für die Schwachen und Hilflosen da zu sein war ein prosperierendes Unternehmen geworden. Für den heiligen Zweck stifteten und schenkten vor allem im deutschen Reich Prominente und Unbekannte. 1136 bekam der Orden im heiligen Land erstmals eine Burg übertragen zur Verteidigung irgendwo in dem unwirtlichen Gebietsstreifen, der noch heute - warum eigentlich? - so umkämpft ist wie ehedem zu Zeiten der Johanniter. Sie machten ihre Sache gut. Weitere Aufträge kamen hinzu, irgendetwas zu erobern, irgendetwas zu halten, was nicht zu halten war. Der Orden prosperierte immer mehr, und das ging bis 1291. Da war der Traum von dem unwirtlichen Gebietsstreifen in weitere Ferne gerückt denn je. Muslime hatten ihn wieder unter ihre Kontrolle gebracht, und die Johanniter waren die letzten, die die Festung Akkon, die letzte Handbreit des unwirtlichen Gebietsstreifens räumten, das von dem großartigen Unternehmen 250 Jahre vorher übrig geblieben war. Das heilige Land: es war verloren.


Der Orden war ohne Plan, wie es nun weitergehen sollte. Das einträgliche Geschäft, für andere gegen Muslime zu kämpfen: es war in die Krise geraten. Bis sich - keine 15 Jahre später - 1306 der Großmeister des Ordens des Ortes Rhodos annahm. Die Insel selbst war unklarer Herrschaftsbereich: Eigentlich gehörte sie zu Byzanz, also östlichen Glaubenbrüdern. Westliche Christen lebten auch da, Genuesen, und trieben Handel. Muslime. Seldschuken. Die Johanniter focht das nicht an: Aus eigenem Antrieb drangen sie in einem zwei Jahre dauernden Kleinkrieg von Rhodos, der Stadt aus nach Süden vor: Unterwarfen, was sich ihnen in den Weg stellte, nahmen, was ihnen gefiel und ließen liegen, was ihnen nicht gefiel. Zwei Jahre später war Rhodos Johanniterstaat.


Aber jetzt ging es erst richtig los. Mit Tatkraft und Inbrunst taten sie, was sie immer getan hatten: Heiden bekämpfen. Und das auf zweierlei Arten: Sie befestigten Rhodos und bauten die Stadt zu einer der größten Festungen ihrer Zeit aus. Rhodos ist noch heute eine der besterhaltenen mittelalterlichen Wehranlagen der Welt. Gleichzeitig rüsteten sie mit den Einnahmen aus dem Heimatland schnelle Galeeren aus. Nicht viele. Im 15. Jahrhundert, meint David Abulafia, waren es nicht mehr als eine Handvoll, die unter der roten Flagge mit dem weißen Kreuz fuhren und mit Geldern aus der Heimat finanziert wurden: aber die hatten es in sich. So berichtet Abulafia in seinem immer wieder lesenswerten Buch DAS MITTELMEER darüber, wie eine Galeere der Johanniter mit dem schönen Namen Unsere lieben Frau von der unbefleckten Empfängnis um das Jahr 1492 herum einen türkischen Frachter verfolgt, aufbringt und die Besatzung sogleich auf die Ruderbänke schickt. Für Jahre, wenn nicht ein Leben lang.

Hier ein Modell einer venezianischen Galeere des 16. Jahrhunderts aus dem Museo dell' Arsenale, Venedig  

Sie machten Jagd auf alles, was sich zwischen Rhodos, der türkischen Küste und Kreta muckte. Geführt von christlichen Rittern, gerudert von Galeerensklaven, erbeuteten sie auf eigene Rechnung, was immer ihnen begehrenswert erschien: Geld, Gold und vor allem immer neue Sklaven, die zu zweierlei Nütze waren: Galeeren rudern. Und Befestigungen bauen. Wie ein Kranz liegen diese Befestigungen heute um Rhodos: auf den höchsten Gipfeln von Symi und Chalki und dem unbewohnten Alimnia, sogar auf dem türkischen Festland in Bodrum und Fethiye findet man heute Festungen der kriegerischen Johanniter.

Am Ende war der Gegner größer. Eine erste Belagerung der Osmanen überstanden die Johanniter. Zu stark waren die Mauern selbst für die türkischen Kannonen, zu klug die Verteidigungsmaßnahmen. Die zweite Belagerung 1522 wurde noch entschlossener geführt, und sie dauerte ein halbes Jahr. Am 22. Dezember 1522 kapitulierten die Johanniter. Und durften ehrenvoll abziehen. Süleyman der Prächtige hatte ein Faible für gute Gegner. Die Johanniter aber segelten Anfang Januar 1523 zusammen mit ihren Anhängern nach Kreta. Sie verliessen Rhodos für immer. 

Auf Rhodos aber sind ihre Zeichen, die sie auf den Mauern hinterließen, noch heute zu sehen.


Wie es danach mit den Johannitern weiterging? Das ist eine andere Geschichte, aber sie sei rasch erzählt. Es folgten ein paar Jahre der Orientierungslosigkeit, bis sie ein Geschenk erhielten, das eigentlich ein fauler Apfel war: Karl V. - eben der mit Luther - "schenkte" ihnen die Insel Malta. Die Türken hatten aus dem östlichen Mittelmeer auf das westliche hinausgegriffen und strebten die Herrschaft über Sizilien und Süditalien an. Der Schlüssel dazu: war Malta. Die Ordensbrüder in den roten Mänteln mit dem weißen Kreuz machten sich ans Werk. Sie bauten die Hauptorte auf Malta zu Festungen aus. Und sandten ihre Galeeren wieder hinaus auf Raubzüge, irgendjemand musste ja her, um Steine zu schleppen, Festungen zu bauen, Galeeren zu rudern. Als die Türken 1555 Malta noch entschlossener belagerten als vorher Rhodos, hielten die Johanniter aus. Malta und Süditalien blieben Bestandteil der westlichen Welt, anders als Griechenland, Albanien, Serbien, Kroatien.

Noch in diesen Jahren - eben wegen Luther - teilte sich der Orden in einen protestantischen (Johanniter) und einen katholischen Zweig (Malteser). Beide wurden 1811 durch den großen Beseitiger der alten Welt, durch Napoleon aufgelöst. Die Johanniter aber wurden 1952 als Unfallhilfe neugegründet, sich rückbesinnend auf den Zweck, zu dem sie vor fast 1.000 Jahren gegründet worden war en: Sich denen zu widmen, die wehrlos am Boden liegen.


Und während der Meltemi durch die zerstörten Mauern der Festung streicht, schaukelt LEVJE in der Dünung, nichts ahnend, welche Geschichten sich hier abspielten.



                             Weiterlesen bei: Symi. Eine deutsche Geschichte. Hier



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Dienstag, 16. Juni 2015

Durch die südöstliche Ägäis: Von der Türkei nach Kreta. Und: Mein nächstes Buchprojekt.


Eines ist sie ganz bestimmt, die östliche Ägäis: Ein Ort, an dem man allein sein kann.

Schon auf meiner ersten Reise von München nach Antalya im vergangenen Sommer schrieb ich über die Schönheit und Abgelegenheit dieser Landschaft. Amorgos, Levitha, Kynaros: Inseln, die mir in den Wellen so verlassen schienen, dass ich sie durchsegelte mit dem Gefühl, hier nur ein Störenfried zu sein. Es war, als hätten LEVJE und ich einen Garten betreten, der nicht für uns geschaffen war, einen Ort, an dem ich kleines Menschlein und auch jeder andere Mensch einfach nur eine jahrtausende alte Ordnung störte. 

                                                                      Weiterlesen bei: Amorgos. Hier.

Die südöstliche Ägäis: was ist das eigentlich?


In der rechten oberen Ecke der Karte das türkische Festland, von wo ich mit lEVJE vor einer Woche startete. Dann - im Uhrzeigersinn nach links unten: Symi. Rhodos mit den rechts vorgelagerten Inselgruppe von Chalki und Alimia. 
Das langgestreckte Karpathos. 
Amathia. Kasos. 
Und links von dem roten Pfeil, der die Position von LEVJE und mir genau in diesem Augenblick auf dem knapp 40 Seemeilen langen Schlag über das offene Meer markiert: Kreta, mein Ziel, dessen Ostküste ich heute Abend erreichen werde.

Wie eine Kette von Trittsteinen liegen die Inseln der südöstlichen Ägäis aneinander. Und Trittsteine waren und sind sie tatsächlich. Keine Insel ist von der anderen viel weiter als 30 Seemeilen entfernt. Auch mit einem Boot, das langsamer ist als LEVJE, etwa einem dickbauchigen minoischen Frachtsegler, wie sie vor über 3.500 Jahren voller Amphoren, Kupfer und Zinn auf dieser Strecke segelten, ist das genau eine Tagesreise von Insel zu Insel. Auch dies ist ein uralter Handelsweg: Als ich in der Bucht von Seskli, von wo beide Fotos dieses Posts stammen, um LEVJE herum schnorchelte, war der Meeresboden unter LEVJE übersäht von großen Amphorentrümmern. Vermutlich ein ebensolcher dickbauchiger Frachter, vielleicht minoisch, vielleicht 1.500 Jahre jünger und römisch, wer mag das schon sagen, der mit seiner Ladung dort gesunken ist. Nur zwei Küsten auf diesem uralten Handelsweg fehlen in der Karte: die in das Gewebe des Handelsnetzes der Antike unbedingt hinein gehören: Das östliche Ende des Mittelmeers mit Syrien, dem Libanon und Israel, von wo die Phönizier kamen. Und das Land der Ägypter. 

Meine Reise begann auf dem türkischen Festland, nördlich von Rhodos: in Marmaris. Dann hinüber nach Rhodos, in die Hauptstadt, die ganz im Norden liegt. Von dort segelte ich in einem Tagesschlag nach Symi - ich schrieb über die Insel.

                                                                   Weiterlesen bei: Marmaris. Und eine neue Matratze. Hier.                     
                                                                   Weiterlesen bei: Symi. Eine deutsche Geschichte. Hier.


Von Symi ein paar Stunden nach Seskli. Vom unbewohnten Seskli, wo nur ein paar Fischer netzeflickend auf ihren Booten die Abgeschiedenheit mit mir teilten, nach Chalki westlich Rhodos. In einem langen Schlag hinunter ganz in den Süden von Karpathos. Und von Karpathos heute nach Kreta.

Von jedem dieser Orte werde ich in den nächsten Tagen und Wochen berichten. Und wenn alles gut geht: der Wind immer aus der richtigen Richtung weht und der Meltemi wie jetzt gerade in diesem Augenblick LEVJE mit sechseinhalb Knoten übers Meer treibt: wenn ich so fleißig bin, wie ich gerne sein möchte: Dann wird dies ein kleiner Teil meines nächsten Buches werden, das im Herbst erscheinen soll mit dem Titel: DIE VERGESSENEN INSELN.



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Sonntag, 14. Juni 2015

Die vergessenen Inseln: Symi. Und eine deutsche Geschichte.


Vom lärmenden Marmaris sind es nur ein paar Stunden mit dem Segelboot zur griechischen Insel Symi. Symi liegt, ähnlich wie alle Inseln an der türkischen Süd- und Westküste, nur zwei, drei Seemeilen vom türkischen Festland entfernt. Und doch erinnert den, der den Hauptort von Symi anläuft, außer ein paar Motoryachten wohlhabender türkischer Unternehmer nichts, aber auch gar nichts daran, dass er sich nur einen Steinwurf weit von der Türkei und von Asien entfernt befindet. Der Euro ist plötzlich wieder Zahlungsmittel und nicht die türkische Lira. Der Supermarkt bietet plötzlich wieder Schinken, Speck und Bratwürste an. Und das Glöcklein des kleinen Klosters oben am Berg ruft mehrmals täglich hektisch und schrill zum Gebet, wo vorher aus Lautsprechern das "Allahu akbar" des Muezzins erklang.

Symi war Anfang des letzten Jahrhunderts Zentrum der Schwammtaucherei, ein mühsames und oftmals tödliches Geschäft. Die Taucheranzüge waren einfach und schwer, die Luftversorgung über den Kugelhelm mehr schlecht als recht. Und doch lebte der Ort gut davon, auch als die Italiener 1912 in einem Vorgeplänkel zum ersten Weltkrieg der Türkei mir nichts, dir nichts den Krieg erklärten und dem in Agonie liegenden osmanischen Reich einfach die Inseln vor seiner Festlandsküste wegnahm. Auf Symi war ab 1912 Amtsprache Italienisch, wie auch die kleine Stadtansicht oben zeigt.


Als es mit der Schwammtaucherei zu Ende ging, wanderten viele Familien von den Schwammtaucher-Insel aus. Meist nach Amerika, wo sich die Nachfahren der Schwammtaucher bevorzugt in Florida niederließen, in einem Ort namens "Tarpoon Springs" und dort ihr Glück machten.

Heute lebt Symit mit und von den Touristen. Symi hat so gar nichts gemein mit dem Pauschaltourismus, der sich an der türkischen Küste zwischen Bodrum und Marmaris drängelt. Ein Ort, der nur im Sommer mit der Fähre zu erreichen ist für die wenigen. Symi ist Modell für den gelungenen Wandel: Kleine nette Hotels, edle Bars, nette Schuhgeschäfte. Ein gehobener Individual-Tourismus, klug und mit EU Fördermitteln realisiert, bringt im Sommer Geld an die Kais von Symi. Selbst die Fischer, der wendigste Berufsstand am Meer in dessen jahrtausendealter Geschichte, haben die Zeichen der Zeit begriffen und jagen nicht mehr tumber Dorade oder schlauem Wolfsbrasch nach. Nein: mit ihren Reusen gehen Sie auf Shrimpsfang. Ein einträgliches Geschäft. Der Fischer, zu dessen blauem Kahn ich heute morgen in der Bucht hinüberschwamm und der in der einsamen Bucht im Zelt kampiert, bot mir das Kilo Symi-Shrimps, frisch vom Boot für 25 Euro an. 



Am Morgen gehe ich zum Bäcker. Aber wieder einmal hat Blaise Pascal Recht: "Die Abenteuer beginnen, wenn wir unser Zuhause verlassen". Denn während ich mich im Gassengewirr am Hafen nach einem Bäcker umsehe, sehe ich plötzlich das da:


Am Straßenrand liegen vier Kanonenrohren aus der Zeit der Türkenkriege, wer weiß, ob von Türken oder Venezianern gegossen. Und dazwischen, blank und schwarz, ein deutsches Geschützrohr aus dem II. Weltkrieg: Das Rohr eines 8,8cm Geschützes, eine schreckliche Waffe, die in der Perfektion ihrer industriellen Fertigung den Krieg unnötig verlängerte und unzählige Leben kostete.

Und während ich den Bäcker Bäcker sein lasse und frisches Brot mir von einem Moment auf den anderen Wurst ist, während ich darüber nachsinne, wie dieses Geschützrohr 2.000 Kilometer von Deutschland entfernt an die türkisch-griechische Grenze kommt, wird mir klar, dass ich vor dem hiesigen Museum stehe. Ein kleines, bunt bemaltes Haus mit steilen Stiegen, dessen Türen noch verschlossen sind. Eine Frau mit ihrem zehnjährigen Sohn kommt plötzlich aus dem Gebäude, es ist ihr Museum, dessen Türen sie für mich öffnen. Und in der Kühle des Museums finde ich an diesem Vormittag zwischen Wehrmachts-Essgeschirr und anderen Utensilien das folgende Foto:


Es zeigt einen untersetzten Mann in Wehrmachts-Uniform, die Hand nachlässig zum Hitler-Gruß erhoben, mit trotziger Miene. Der Mann ist eben von einem Kriegsschiff auf ein feindliches übergestiegen. Er steht vor zwei englischen Offizieren, einem der Royal Navy und einem der Army, die beide mit der selbstbewußten Geste des untersetzten Mannes nichts anzufangen wissen.

Der Mann in der Wehrmachts-Uniform ist Otto Wagener. Und seine Geschichte ist eine deutsche Geschichte, und sie hat mit Symi zu tun. Otto Wagener wird im Dreikaiserjahr 1888 in Durlach bei Karlsruhe geboren und besucht, nicht unüblich für einen Industriellensohn, die Kadettenschule. Die militärische Laufbahn ist vorgezeichnet, im I. Weltkrieg dient Wagener als Kompanieführer in Belgien und Frankreich. Glaubt man Wikipedia, das Wageners Karriere detailliert wiedergibt, dann scheidet Wagener noch vor Kriegsende aus dem Armeedienst aus - "ohne besondere Anerkennnung" - und engagiert sich nach Kriegsende bei den Freikorps, einem Sammelbecken rechter Gesinnung. Bis in die Mitte der Zwanziger Jahre hinein besucht er Vorlesungen in Sozial- und Wirtschaftsgeschichte in Karlsruhe und Würzburg, wo er an der Universität den Ehrendoktor erhält. Ab 1929 ist Wagener in der SA aktiv und tritt am 1. Oktober 1929 mit der Mitgleidsnummer 152.203 in die NSDAP ein. Rasch steigt Otto Wagener in die Reichsleitung der NSDAP auf. Er ist Wirtschaftsfachmann von Herkunft und Ausbildung, von August bis Dezember 1930 führt er die SA als oberster SA-Führer.

Im April 1933, wenige Monate nach dem Machtantritt Hitlers, übernimmt Wagener das "Wirtschaftspolitische Hauptamt der NSDAP", er sieht sich bereits als Wirtschaftsminister Hitlers. Doch Wagener überspannt den Bogen - der ehrgeizige Plan platzt. Hermann Göhring weist mithilfe abgehörter Telefonate dem Führer nach, wie Wagener allzu sehr an Strippen zog, um sein Karriereziel zu erreichen. Hämisch notiert Joseph Goebbels Ende Juni 1933 in sein Tagebuch:

"Bei Hitler [gewesen]...Dicke Luft. Wagner [ein Schreibfehler Goebbels' ] hat an den Chef [Adolf Hitler] Telegramme geschickt. Will Wirtschaftsminister werden. Chef wütend... Wagners [sic] dummes Gesicht..."

Noch am selben Tag verliert Otto Wagener alle seine Ämter und verschwindet in der Versenkung. Während des Röhm-Putsches wird er interniert und entgeht nur aufgrund eines Versehens der geplanten Erschießung. 1937 bewirbt sich Wagener dann erneut um Aufnahme in die SA. 

Den II. Weltkrieg erlebt Wagener zunächst in untergeordneten Positionen. Im Herbst 1943 wechselte Italien, ehedem Verbündeter Hitler Deutschlands, auf die Seite der Alliierten. Und Otto Wagener, Kommandeur des Sicherungsregiments 111, steigt im April 1944 zum "Oberkommandeur Ägäis Ost" auf. Auf den seit dem italienisch-türkischen Krieg 1912 von Italien besetzten Inseln werden nun deutsche Truppen stationiert, Italiener als Kriegsgefangene interniert. Otto Wagener schlägt sein Haptquartier in Rhodos auf. Unter seinem Kommando stehen etwa 6.000 Soldaten, verteilt über die Inseln der östlichen Ägäis, darunter auch das "Strafbataillon  999", dem Heinz Konsalik in seinem Bestseller-Roman aus den 70ern ein Denkmal setzte. Wagener läßt das KZ Kallithea auf Rhodos errichten, sorgt für die Deportation von Juden nach Auschwitz-Birkenau, ordnet Erschießungen italienischer Kriegsgefangener an.


Aufgrund alliierter Bombardements von Rhodos verlegt Otto Wagener in den letzten Kriegswochen sein Hauptquartier von Rhodos nach Symi, in den Hauptort der Insel. Ein großer Teil der Stadt wird nach der Verlegung ebenfalls von Alliierten bombadiert und zerstört. Symi leidet. Am 8. Mai 1945 unterschreibt der untersetzte Mann dort in Symi in einem Haus am Hafen die Kapitulation der deutschen Truppen in der Ost-Ägäis. Und übergibt die Inseln an die Engländer. Zwei Jahre später wird Symi nach jahrhundertelanger Zugehörigkeit zum osmanischen Reich, zu Italien und deutscher Besatzung dann griechisch.


Das Haus, in dem Otto Wagener die Kapitulation unterschrieb, steht heute noch in Symi am Hafen. Es beherbergt im ersten Stock eine Galerie und im Erdgeschoß ein Restaurant. Wo man, wenn man Glück hat, auch Symi-Shrimps essen kann.

Otto Wagener aber starb am 9. August 1971 im oberbayrischen Chieming, am Ostufer des Chiemsees. Allerdings nicht, ohne ein Buch zu hinterlassen: "Hitler aus nächster Nähe. Aufzeichnungen eines Vertrauten 1929-1932", das posthum 1978 von dem britischen Historiker Henry Ashby Turner bei Ullstein in Berlin herausgegeben wurde.




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Freitag, 12. Juni 2015

Der Mensch und seine Sachen: Was ist eigentlich die richtige Matratze für mich? Oder: Vicdan und Halil, Yachtpolsterer inMarmaris.

Schon lange sinne ich einer Frage von einigem Gewicht nach: Was ist eigentlich die richtige Matratze für mich? Wer sich einmal an Land mit dieser Frage ernsthaft beschäftigt hat und mit ihr beim Matratzenhändler seiner Wahl aufschlug, der weiß aus leidvoller Erfahrung zweierlei: Mit zunehmenden Alter von Mensch und Matratze hat diese Frage nicht nur Gewicht. Sie wird buchstäblich drückend. Und mit dem nackten Einsatz von Geld ist sie auch nicht zu lösen.

Zwar besitzt meine LEVJE vom Typ DEHLER 31 hervorragende Matratzen, die meine matratzenkritische Katrin und mich jederzeit begeisterten: aber in den langen Nächten im Winter in südtürkischen Finike war doch nicht zu übersehen: dass ich durch den Schaumstoff hindurch die hölzerne Unterlage spürte. Zeit also, die leidige Matratzenfrage einer Lösung zuzuführen. Und welcher Ort eignet sich dafür besser als das schöne Marmaris?



Eigentlich ist Marmaris ja eine Stadt mit zwei Gesichtern: Des Nachts die Ausgeburt der Hölle, was den Lärm angeht, der aus der Bar-Street quillt: eine Kakophonie von zusammengerechnet 19 Oktoberfesten, 13 Hard-Rock- und Techno-Konzerten. Ein unqualifizierter Lärmbrei, zusammengerührt aus Technogewummer und orgiastischen Männerschreien, ein ohrenschmerzender Lärmmüll, in dem man noch drei Kilometer entfernt in der kleinen Marina wachliegt und vergeblich nach brauchbaren Trümmern irgendeines Lieblings-Songs stochert. Nichts da. Nur eckelfarbene Lärmschmiere, die außen und innen um meine LEVJE wabert, als wäre selbst LEVJE nichts anderes als eine Lautsprecherbox. Tagsüber aber zeigt Marmaris dem Segler ein ganz anderes, ein freundliches, ja geradezu begeisterndes Gesicht: Die Marina brummt und summt vor lauter Ausbesserungsarbeiten, es geht zu wie in Patrick O'Brian's JACK AUBREY-Romanen, wenn der Held sich auf die Suche nach neuen Spieren und 12-Pfündern für seine SOPHIE macht. Da reiht sich Ausrüstungsladen an Ausrüstungsladen, blinkende Edelstahlteile lassen mein Herz höher schlagen und supertolle Ankerwinschen im Schaufenster. Neue Spielsachen für LEVJE gäbe es da zuhauf, die Jagdsaison von einem zum anderen Laden ist eröffnet. Und auch ein YANMAR-Händler ist da, der meine Seewasserpumpe für LEVJE um sagenhafte 250 EURO günstiger anbietet als der stets freundliche Händler vom Bodensee, der schlappe 1.050 EURO für das etwa faustgroße Teil von mir will. Marmaris: ein Paradies. Selbst die Türken sagen, dass es keinen Ort gibt, an dem man ein Schiff besser überholen lassen kann und mehr Teile fände als hier in Marmaris. Und mittendrin im Paradies, nur wenige Schritte von dort, wo nachts der Lärmbrei aus den Häusern zum Himmel quillt: treffe ich auf Vicdan und Halil, von Beruf "döseme": ehrbare Yachtpolsterer.


Vicdan und Halil betreiben ihre Yachtpolsterei nun schon seit zehn Jahren. Und als ich mit meinem Kummer unter dem Arm in Form von LEVJEs Matratze vor Ihnen stehe, wissen Sie auch irgendwie gleich, wie es jetzt weitergeht. Vicdan, die fürs Reden und Übersetzen im Betrieb zuständig ist, breitet gleich vor mir aus, was es da an Sachen gibt. LATEX-Matratzen. Schaumstoff-Matratzen. Schaumstoff-Matratzen mit extra weichem 3cm-Schaumstoff oben drauf. "Eigentlich" sagt Vicdan, "sind Matratzen nach zehn Jahren am Ende und sollten ausgetauscht werden. Aber das macht eigentlich niemand." Aus ihrem zarten Englisch ragt das deutsche Wort "kaputt", das sie verwendet, heraus wie ein Fels, vor dem mein  Gewissen ganz kleinlaut steht, weil LEVJE's Matratzen nun wirklich älter als zehn Jahre sind. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Und gerade auf dem Boot ist die Methode "lieber alt und wissen was man hat als neu und nur vermeintlich problemlos" nicht die schlechteste.



Da ich gerne hart schlafe, entscheide ich mich nach Probeliegen für die Schaumstoff-Matratze. Die ohne Softie-Dingsbums obendrauf. "Männer halt", wie meine reizende Freundin Susanne ob meiner Begeisterung für Ankerwinschen und derlei seufzend wenige Minuten vorher ausstieß. Wobei ihr Seufzen schon einen wahren Kern hat: Denn das mit dem "Probeliegen" ist ja schon ein tückisches Ding, und das nicht nur in der Türkei: Ist das, was man eben beim Liegen als "angenehm hart" empfand, auch heute Nacht kurz nach halb vier immer noch angenehm? Kann ich denn jetzt schon sagen, wo es heute Nacht drücken, zwicken wird? Wo meine Wirbel knacken werden? Nein, Probeliegen ist echt nur ein Placebo. Trotzdem: lieber zu hart als zu weich. 

Also macht sich Halil mit seinem Heißschneider flugs ans Werk, um meine Matratze zuzuschneiden. Es macht Spaß, ihm bei der Arbeit zuzuschauen, und es geht auch verflixt schnell. Als Halil fertig ist, bin ich so verzückt vom Ergebnis: dass ich beschließe, schnell noch in die Marine zurückzufahren und auch Katrin's Matratze zu erneuern. Rapszaps.



Und so kam LEVJE an diesem Nachmittag zu zwei neuen Matratzen. Herzhaft freute ich mich auf die Nacht. Aber es kam, wie es kommen musste: Irgendwann wurde es auf LEVJE morgens halb vier. Umhüllt vom zähen Lärmbrei, der aus der Kilometer entfernten Bar Street an der Netsel Marina herüberdrang und mir Ohren, Mund und Nase verklebte, Umsummt von Myriaden von Mücken fühlte sich die Matratze plötzlich - hart an. Sehr hart. Sehr sehr hart. Mit eiskalter Klarheit schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass Katrin nie, nie wieder LEVJE betreten würde, wenn sie auf dieser Matratze schlafen müsste. Also trabte ich schon am frühen Morgen wieder in die Stadt, die zweite Matratze unterm Arm, und betrat mit sorgenvoller Miene Vicdan und Halil's Laden am Fluß. Aber wie man aus der Literatur weiß: ist einem richtigen Yachtpolsterer kein menschlicher Kummer fremd. Und so fanden die beiden eine Lösung. 

Ich aber werde weiter auf meiner neuen Matratze schlafen. Erstens ist ja nicht nur die hart. Ich bin es auch. Und zweitens kündigte die gute Vicdan an: dass meine Matratze ja schon bald, bald weicher werden würde. Nämlich in etwa drei Jahren.

Mal sehen, wer eher nachgibt.





Und wer jetzt Appetit auf neue Matratzen bekommen hat: die Firma von Vicdan und Halil heißt AKTIF DÖSEME und ist nur wenige Schritte von der Netsel Marina entfernt: Einfach am MIGROS MARKT den Fluß und über die zweite Brücke nach links aufs andere Ufer. Oder hier auf  die Website von Vicdan & Halil. Die beiden sind echt nett und betreiben ihr Geschäft schon über zehn Jahre. Und da sie pro Jahr etwa für 200 Yachten tätig sind, macht das in zehn Jahren ....






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