Freitag, 20. Oktober 2023

Kroatien im Oktober: Jugo. Kann Wind beständig sein?








Als ich morgens um vier aufwache und an Deck klettere, ist es ungewöhnlich warm. Die Bora brachte Kälte am vergangenen Wochenende, der Jugo, der seit gestern morgen in scharfen Böen die Bucht peitscht, bringt am zweiten Tag ungewöhnliche Wärme.

In den Wetterberichten war der dreitägige Starkwind aus Südosten schon am Wochenende zu erkennen. Da war die Bora noch am Werk, ich nutzte sie um mit Speed schnell nach Süden zu kommen. Am Mittwoch Abend, bevor der Jugo einsetzen sollte, suchte ich nach einem Platz für die windigen Tage. Lief in der Abenddämmerung nach Stari Grad. Der Hafen war erstaunlich voll, fast, als wäre es noch Saison. Aber wahrscheinlich hatten alle genauso wie ich seit Sonntag in die Seekarten geschaut und sich genauso wie ich die Nordseite der Insel Hvar als ruhigste Ecke auserkoren. Ich schaute mir das Treiben an. Funkte kurz den Hafenmeister an, ja, ein Liegeplatz wäre noch frei - ausgerechnet an der Stelle, die Karlheinz Beständig in seinen 888 Häfen und Buchten nur für mich markiert hat mit den Worten "hier nachts oft laute Musik". Tatsächlich wummerten da schon jetzt aus einem Haus balkanische Weisen.

Plötzlich war mir klar: Drei Tage im Hafen liegen ist nicht mein Ding. Nicht mal eine Nacht. Ich räumte meine Fender wieder weg und nahm Kurs zurück auf die Bucht, die ich mir auf dem Weg in die Stadt eingehend angesehen hatte. 20 Minuten von der Stadt entfernt. Ein Ort unter rauschenden Kiefern. Und das Netz, um mein Webinar am Abend abzuhalten, war sogar deutlich besser als in der Stadt, so sagte es jedenfalls fast.com. Ich ließ den Anker fallen. Schwamm in der Abenddämmerung mit meinen Trossen hinüber zu den Felsen und vertäute mich genau nach Südosten, woher der Jugo blasen sollte. Den Gefallen  tat er mir freilich nicht.





Es war die richtige Entscheidung, jedenfalls für mich. Die Bucht ist herrlich. Fernab von allem. Nach dem Aufstehen Schwimmen im großen Türkis. Nur der Jugo tut nicht, wie er soll. Hier in der Bucht jagt er nicht wie die Wolken über mir aus Südost, sondern er trifft Levje breitseits aus Nordost. Wie heftig er draußen vor der Bucht weht, wie ruhig es hier in der Bucht ist erkenne ich erst, als hinaus auf die Ansteuerung von Stari Grad blicke. Man erkennt das gänzlich andere Wellenbild, durch das sich eine Charteryacht mit killender Fock verzweifelt gegen den Jugo Richtung Hafen Stari Grad kämpft:



Ist der Jugo beständig? Auf seine Art ist er das. Ich höre ihn in den Wipfeln der Kiefern über meinen Landleinen beständig rauschen. Er ist immer da, auch wenn sich an Bord gerade kein Wimpel regt. Das geht so eine oder fünf Minuten. Bis plötzlich eine Fetzen Böe aus Nordost das Boot zur Seite drückt und die Papiere auf meinem Platz im Cockpit flattern lässt, als wollten sie mit der vollen Tasse darauf gleich abheben.


Es ist ein guter Platz, den ich gefunden habe, denke ich jedenfalls. Es soll Gewitter geben heute nacht - also nur nichts berufen und zu früh frohlocken. Auch das ist etwas, was das Meer mir wieder und wieder von neuem über den Sinn des Reisens auf dem Meer vermittelt. Charles Darwin riet in der Rückschau über seine Fahrt mit der Beagle 30 Jahre später jedem,

"... unbedingt sein Glück zu versuchen und auf Reisen zu gehen, wenn möglich über Land, ansonsten: lange zu bleiben. Er kann versichert sein, dass er - allenfalls in seltenen Fällen - keinen derartigen Schwierigkeiten oder Gefahren begegnen wird, wie er sie am Beginn vorraussieht.
Unter einem moralischen Gesichtspunkt sollte eine solche Reise ihn 
- gutwillige Geduld lehren, 
- Freiheit von Selbstsucht, 
- die Gewohnheit, für sich selbst zu handeln, 
- und aus jedem Geschehnis das Beste zu machen, 
kurzum: er sollte die charakteristischen Eigenschaften des Seemanns besitzen. 

Reisen sollte ihn auch Mißtrauen lehren, aber gleichzeitig wird er entdecken: wieviele wahrhaft gutherzige Menschen es gibt, mit denen er nie zuvor Kontakt hatte und auch nie mehr wieder haben wird, und die dennoch bereit sind, ihm die uneigennützigste Hilfe zu gewähren."

                                                                                                         Charles Darwin, 
                                                                                                         Die Fahrt mit der Beagle, 
                                                                                                         letztes Kapitel. 


Mein Standort:
Die Luka Zalava auf der Insel Hvar


















Mittwoch, 18. Oktober 2023

Kroatien im Oktober: Lonely Paradise?




Es ist kühl geworden jetzt Mitte Oktober. Auch hier im Süden von Solta. Hüpfe ich nach einem langen Segeltag noch schnell ins Meer, ist es im Wasser wärmer als draussen. Wer rauskommt aus den 23 Grad Wassertemperatur an die Luft, der schnattert.

Ich hatte nicht erwartet, in Kroatien irische Verhältnisse anzutreffen. Eine kühle Brise, die erfrischend meinen Wollpullover durchdringt, als trüge ich nichts. Anders als in Irland finden die Küstenbewohner es nicht sportlich, bei 15 Grad Lufttemperatur sich der Freude hinzugeben, dass endlich Hochsommer ist und Stunden im Wasser zu verbringen.

Jeden Morgen fahre ich los und recherchiere ich für meine Neuausgabe des REVIER KOMPASS KROATIEN. Fahre auf meiner Route jede Bucht ab, kreuze auf unter Segeln, betrachte, beurteile konzentriert, was ich da in welcher Bucht vorfinde, und segle weiter. Manchmal fühle ich mich ein bischen wie der Fliegende Holländer. Wahrscheinlich wirkt es so auf die wenigen Segler, die noch in Buchten liegen. Ich kreuze auf, fahre Zickzack, verschwinde wieder. Es ist lustig, ein fliegender Holländer zu sein.


Gestern erreichte ich die Uvala Tatinja, eine Bucht im Süden Soltas, die eigentlich aus drei Armen besteht. Ich liege im östlichsten, vor dem Restaurant mit Namen Lonely Paradise, ein witziges Ding und im Sommer ein Hit. Jetzt hat es geschlossen, die meisten Konoben an der Küste schlossen vor wenigen Tagen. Die Bucht ist verwaist, und dankenswerterweise hat der Wirt seine vier Bojen, um die sich im Sommer die Gäste balgen, im Wasser gelassen. Ich habe mir gestern Abend in der Dämmerung eine geschnappt und ließ mich von ihr in den Schlaf wiegen. Nicht ohne mir zuvor das Motor-Webinar mit Michael Herrmann reinzuziehen, das Susanne gestern bei millemari. allein veranstaltete. Kein Spruch: Ich habe es ich in vollen Zügen genossen, ich mag Michael Herrmann, seit ich ihm zum ersten Mal zuhören durfte und freue mich auf die nächsten zwei weitere Motoren-Webinare mit ihm.

Das Wetter wird sich ändern. Ab morgen werden wir für drei Tage Jugo haben, in Böen bis 40 Knoten. Das schafft eigene Notwendigkeiten: Ich muss bis morgen nicht nur einen guten Schlupfwinkel finden, von wo aus ich mein Webinar MIT APPS BESSER SEGELN morgen Abend abhalten kann. Ausreichendes 5G-Netz muss her, und das ist nicht leicht auf den Inseln, für mein Webinar letzte Woche musste ich 3 Stunden rumkurven, bis ich in Biograd nördlich des Hafens eine Bucht direkt unterm Funkmast fand. Lassen wir uns einfach überraschen. Übrigens werde ich im Webinar auch um meine Grundberührung berichten, die NAVIONICS und ich gemeinsam letzte Woche produzierten. Und mir neue Wetterdienste wie PREDICTWIND etwas genauer ansehen. 

So schön es hier gerade vor dem Lonely Paradise also ist: Der Fliegende Holländer muss rastlos weiterziehen. Aber Kroatien im Oktober? Das ist echt Lonely Paradise!







Mittwoch, 4. Oktober 2023

Kroatien im Oktober. "Einen verklemmten Anker? Kriegt man niemals alleine raus!"

Meer und Felsküsten - das gehört zusammen, auch beim Ankern. Vor allem in Kroatien, wo es - anders als in Italien, Griechenland oder den Balearen -verschwindend wenige Sandstrände, sondern überwiegend Felsküste gibt.

Gestern 12 Uhr. Insel Fenoliga, der südlichste Punkt Istriens. Da stehe ich nun am Steuer, bereit, den Anker aufzuholen und abzulegen. Alles funktioniert. Der Motor springt auf ersten Dreh des Zündschlüssels an. Die Ankerwinsch legt los auf Tastendruck, holt Kette um Meter. Und dann das: Plötzlich ein gequältes Jaulen der Winsch. Vom Steuer sehe ich, wie sich Levje's Bug um 70 Zentimeter nach unten senkt und dort verharrt, als würde etwas mit aller Kraft nach unten ziehen. Im selben Augenblick quittiert die Ankerwinsch den Dienst. Der Anker hat sich verklemmt!

Ich kenne das. Wenn ich  segle, verbringe ich, so viel ich kann, vor Anker. Laut meinem Logbuch über 95%. Ich gehe nur in den Hafen, wenn ich es muss. Wenn Wasser oder Diesel zur Neige gehen. Oder Lebensmittel.

21 Kilogramm schwer. Fast 40 Zentimeter breit. Mein Bügelanker. Arbeitsmotto: Was er erstmal hält, das hält er.



Ich habe schon alles mögliche vom Grund nach oben geholt. Letzten August auf Kefalenia eine schwere Bojenkette im Hafen von Agia Eufemia. Auf einem meiner ersten Törns im Industriehafen von Barletta/Apulien im Südwesten der Adria das tote Ende eines schwere Stromkabels. In Kroatien hängt der Anker immer mal - in Felsen.

Das gute an der Situation ist: Wer hängt, der hängt erstmal bombensicher. Den vertreibt es nicht in Richtung Felsen. Meist reicht es dann, Ketten, Kabel, Netze, schwere Trossen nach oben zu holen, soweit es eben geht. Hinabzutauchen, einen Festmacher um das Ärgernis zu legen und beide Enden des Fenstmachers auf Zug an der Bugklampe zu belegen. Von Bord aus hängt man den Anker mithilfe der merklich erleichterten Winsch aus und lässt das Teil wieder dorthin sinken, wo ein Anker es fand. Ins ewige Vergessen auf 5-7 Metern Wassertiefe.

Doch es ist ein merkwürdiges Gefühl, wenn man nicht wie gewohnt den Anker nach oben holt, sondern sich der Bug ins Wasser senkt und so bleibt. Ich mühte mich eine Viertel Stunde. Versuchte mit Motorkraft, in alle Richtungen zu ziehen. Das war nicht sonderlich klug - aber so handelt man nun mal, denn: "Das hat doch bisher immer gut funktioniert."

Erste krumme Gedanken im Kopf. 
"Den kriegst du niemals alleine raus!"
"Du? Willst morgen im Webinar Leuten etwas übers richtige Ankern erzählen? Und baust so einen Bockmist. Peinlich!"
"Und was ist, wenn du jetzt kleinlaut SEAHELP rufen musst?"
"Dir bleibt nur, den Anker samt Kette aufzugeben. 1.500€ im Eimer."

Weg mit solchen Gedanken. Mein alter Spruch ist: "Wenn's nachts draußen vor dem Zelt raschelt, geh nachsehen!" Wenn du Angst hast, geh raus und finde die Ursache. Sieh nach! Schau genau hin! 

Ich nehme Taucherbrille und Schnorchel, steige ins Wasser und verlasse Levje. Erstmal sehe ich gar nichts. Die Kette verschwindet unter einer wuchtigen Felsnase, die nach Westen offen ist. Vom Anker nichts zu sehen. "Der muss sich wohl voll genau unter der dicken Felsnase verkeilt haben. Wenn ich mit loser Kette genau nach Westen steuere, müsste ich den Anker doch unter der Nase rausdrehen können."

Erster Versuch? Scheitert. Zweiter auch. Nochmal ins Wasser. Noch mal genau ansehen. 

Das Problem beim Alleinsegeln ist: Ich bräuchte einen zweiten Mann/Frau im Wasser, der mich in die richtige Richtung bugsiert. Hab ich aber nicht. Also streng dein Hirn an. Steuere genau. Such dir vom Wasser aus an Land die richtigen Peilmarken.

Etwa eine dreiviertel Stunde brauche ich. Aber am Ende klappte es!

Übrigens: Wer genau wissen will, wie das mit den Trossen, den Stromkabeln und den Unterwasserfelsen abwerfen aus eigener Kraft klappt: Heute Mittwoch, 3.10.23 Abend um 19.30 Uhr erzähle ich in meinem Webinar übers Ankern anhand von Grafiken, wie man sich von Ballast am Anker befreit. Und darüber, wie man möglichst stressfrei ankert. Über die häufigsten Irrtümer beim Ankern. Wie man sie leicht vermeidet. Und über richtige und falsche Freunde beim Ankern.

Denn in einem bin ich mir sicher: Ich werde mir beim Ankern sicher wieder einen einfangen irgendwo. Denn wenn man viel und überall ankert, gehört das mit dazu. Es gehört dazu, wie der Fehler zum Segeln - siehe meinen vorigen Post.

Mein heutiger Standort: Insel Rab, Bucht von Kampor.














Dienstag, 3. Oktober 2023

Entlang Kroatiens Küsten. Oktober. Eine Nacht auf dem Meer.



Die Nacht liegt über dem Meer vor der Insel Fraskeric im Süden Istriens. Im Sommer ist hier viel los, nicht auf der kleinen Insel, die ist nicht mehr als ein unbewohntes Eiland, das selbst in der Saison nur den Möwen gehört. Jetzt herrscht hier Stille. Kein Laut vom Campingplatz hinter mir am Festland, in dem noch vor wenigen Wochen das Leben toste.

Jetzt gerade ist jedes menschliche Geräusch aus der Welt verschwunden. Sie gehört den Lauten des Meeres. Ein sanftes Plätschern von drüben von der kleinen Insel. Das zaghafte Zirpen einer Grille. Ein kleiner Fisch, der flirrend neben dem Boot die Wasseroberfläche. Das Schnaufen zweier Delphine, die sich  





vor der Insel an einer Reuse abarbeiten, um an Fische zu kommen. Ein Wasservogel, der sich an diesem frühen Morgen plusternd in der Dunkelheit mit Nässe besprengt.

Gestern morgen bin ich los im Norden von der Marina Sant'Andrea in den Lagunen von Grado. Mein Plan ist, die nächsten Wochen für meine Neuausgabe des REVIER KOMPASS KROATIEN die Küste entlang nach Süden zu fahren und zu recherchieren. Es war Karlheinz Beständig, der Autor der 888 Häfen und Buchten, der mich im Telefonat darauf brachte. Auch er bricht erst spät im Jahr auf und ist oft bis November unterwegs, um zu arbeiten. 



Die Nachtluft riecht würzig nach Kräutern. Der einsame Schrei einer Möwe, der die Stille zerschneidet. Nur das morgendliche Krähen der Hähne fehlt noch, das man manchmal in einsamen Gegenden auf Mallorca hört. Das plötzliche Rauschen einer Dünung, die ein Frachter aufwarf, dessen Lichter ich draußen sah.

"Traveling is Education", sagte ein Mann letzte Woche ins Telefon. Ein Ire oder Australier, der neben mir im Zug reiste. Der Satz hallt nach. Die Jahreszeit gehört wohl denen, die mit Lust alleine reisen. Erziehung, dass nicht wirklich wichtig ist, was wir für wichtig erachten. Erziehung, seinen Schreibtisch aufs Meer zu verlegen und zu beobachten, wieder immer wieder, als könne uns das verändern.

Morgen will ich weiter südostwärts über den Kvarner, dorthin, wo sich die Inseln Cres und Losinj berühren und um 17 Uhr durch unter der Drehbrücke durch den schmalen Kanal, der sich dann kurz öffnet und aus der einen Insel zwei macht. Am Mittwoch soll es einen kurzen Bora-Puster geben, den ich nutzen will, um hinauf nach Rab und Krk zu kommen. Ich hoffe, dort gutes WLAN zu finden, um am Mittwoch Abend von dort mein Webinar über das Thema Ankern zu halten. Auch das wird eine Erfahrung, wie das vom Boot aus klappt.