Es regnet. Die Kaltfront, die im Norden Sturm brachte, zieht nun auch über die Berge hinweg. Meine kleine Welt hier oben ist grau geworden. Grau in ihren Farben - doch längst nicht eintönig. Die Berge der Grupo delle Odle, der Geislergruppe, die ich Tag für Tag fotografiere, haben sich wehende Umhänge über ihre Schultern geworfen. Wilde Gestalten sind sie geworden, als würden selbst sie unter der plötzlich einbrechenden Kälte erschauern.
Dabei begann es harmlos. Erst wurden die Berge kleiner und kleiner unter dem, was sich über ihnen an dampfigen Gebilden zusammenbraute. Dann verschwanden ihre Gipfel in den Wolken, ich konnte zusehen
wie Wolken wie ein Vorhang über die Berge fielen und immer weiter sanken, bis der Regen einsetzte. Der erste Regenschauer, den ich erlebte, war nichts als ein feiner Spray, ein irischer Landregen, der nicht in hämmernden Tropfen niederfiel, sondern in feinen schwebenden Teilchen, als wäre ich nun mitten in den Wolken. In der Nacht begann der Regen zu rauschen.
Am nächsten Morgen war es kalt draußen. 3 Grad zeigte das Thermometer. Aber drinnen bleiben wollte ich nicht. Es zog mich nach draußen. Nein, keine Sonnenstrahlen mehr in der Kälte aufs Gesicht, nicht wie gestern beim Frühstück, über das ich unten schrieb.
Stattdessen nun: Regen. Regen, der in dichten Vorhängen fiel und die Dinge verhüllte. Ich nahm mein Tablett, kroch unters Dach, wo mein Platz trocken war; und sah dem Regen zu.
Vielleicht muss man erst sein Zuhause verlassen, um das zu können: Dem Regen zuzusehen, wie er fällt. Und in diesem Moment nichts anderes dabei zu müssen.
Vielleicht muss man einen Ort wie diesen finden.
Vielleicht bin ich auch noch nicht lange genug hier oben, um es eintönig zu finden.
Vielleicht muss man auch einfach sein Zuhause verlassen, es einfach hinter sich lassen, um seine Welt einmal mit ganz anderen Augen zu sehen. "Die Abenteuer beginnen, wenn wir unser Zuhause verlassen", steht als Motto über diesem Blog. Ich schrieb es 2014, als ich nach meiner Kündigung zu meiner ersten Einhand-Segelreise allein nach Antalya aufbrach. Es hat für mich nichts von seiner Richtigkeit verloren. Wir müssen immer wieder aufbrechen, wenn wir wachsen wollen.
Vielleicht muss man auch nur für immer bleiben, so wie die Oberkaser-Mari, deren Leben ich in in einem meiner Bergretter-Bücher erzählte. Mit 18 verließ sie aus gekränkter Liebe das Tal und lebte allein oben auf einer Hütte unter dem Geigelstein oberhalb Sachrang, bis sie mit 80 Jahren dort oben starb. Ein Bergretter hat mir die Geschichte erzählt. Und ich glaube, dass sie sich keine Minute in diesem Leben gelangweilt hat oder gar gefürchtet. Selbst dann nicht, als eine Lawine ihre Hütte bis übers Dach verschüttete für Tage, dass nichts mehr zu sehen war davon, bis die Bergwachtler ihren First nach drei Tagen freischaufelten und sie den Kopf aus dem kleinen Firstfenster streckte mit nichts anderem als den Worten: "Habts an Durscht, Buam, vom Schaufeln? Do habts a Bier."
Doch irgendwann endet auch dieser Moment des in den Regen schauens. Mein Frühstück ist vorbei. Der Schreibtisch ruft, an meinen Bergretter-Geschichter weiterzuarbeiten. Noch schnell die Kamera geholt und versuchen, die Regentropfen hier oben zu fotografieren, wie sie leisen Glanz und Glitzer ins große Grau auf die Piniennadeln zaubern.
Es ist schön hier oben. Allein auf der Hütte. Selbst im Regen. Aber vielleicht ist auch das nur, solange man weiß, dass man nicht wirklich allein ist. Nicht allein im Leben. Nicht allein in den Bergen.
Und morgen früh? Da gibt es mehr. Vom Alleinsein in den Bergen.
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