Anfang Juni bin ich von der Isle of Wight aufgebrochen
und über die Scilly-Isles nach Dublin und Schottland.
und über die Scilly-Isles nach Dublin und Schottland.
Nach Islay sind wir jetzt auf den Äußeren Hebriden unterwegs.
Eines meiner meistgelesenen Bücher Annie Proulx SCHIFFSMELDUNGEN reist mit mir immer noch an Bord von Levje herum. Es spielt in Neufundland und erzählt, wie ausgerechnet am entlegensten Ort der Welt Menschen plötzlich mit sich ins Reine kommt. Ich weiß nicht warum, ich habe es vermutlich an die 30, 40 mal gelesen. Ungelogen. Vielleicht, weil ich die Einsamkeit seiner Helden teilen wollte? Vielleicht weil mich die Beschreibung des Lebens in dieser kargen und so alles andere als mediteran anheimelnden Landschaft anzog? Heute weiß ich, dass ich es tat, weil es nur wenig derart trostreiche Bücher gibt wie dieses.
Im Hafen von Loch Boisdale gibt es so wenig wie im Ort Internet-Empfang. Der Datenempfang eines Wetterberichts läuft in Zeitlupe ab, man kann jedem Bit beim Durchwandern der Leitung zusehen. Donald, der Hafenmeister von Loch Boisdale, nimmt das gelassen. "Bei uns geht alles langsamer", sagt Donald gleichmütig, "selbst das Internet. Man muss nur ein bisschen warten." Am besten ist das Netz noch vor der Damentoilette, der gute Donald hat vorausschauend eine dicke Parkbank unter dem einzigen Fenster der Damentoilette aufgebaut.
Kaum in Lochboisdale angekommen, frage ich Donald, ob es denn in Loch Boisdale jemanden gibt, der Autos verleiht. "Na klar gibts einen", sagt Donald hinter seinem Schreibtisch. "Wenn Du hinter der Bank of Scottland den Hügel hochgehst, ist das dritte Haus das von David. Er repariert Autos und verleiht auch welche. Du kannst es nicht verfehlen." Die Bank of Scotland kannte ich schon, ein Einfamilienhaus mit dem überdimensionierten Schriftzug der Bank, damit man es unter den 19 anderen Einfamilienhäusern Loch Boisdales auch gleich erkennen kann. Ich bin dankbar für Donalds präzise Beschreibung, Loch Boisdale hat ja gerade mal 3 Straßen. Aber wer verläuft sich schon gern im Nirgendwo.
Als ich vor dem Haus des Autoverleihers stehe, weiß ich, wie Donald das mit dem "nicht verfehlen" meinte. Auf dem Grundstück stehen weithin sichtbar ausgeweidete Autokadaver herum, einem Kleintransporter hängen seine Türdichtungen wie die traurigen Lefzen eines Bernhardiners herunter. In einer kleinen Scheune ragen mächtige Edelstahlhaken an einem rostigen Haken, die Sven an den Film DER WEISSE HAI und mich an Steven Kings übelste Alpträume denken lassen.
Aber David, der Autoverleiher ist ein ausgesprochen netter Mann. Ein großer Kerl Ende 40 mit jovialem Lachen. Zwei junge Leute, Lehrlinge offenbar, hängen in der Werkstatt über der Kühlerhaube eines Autos und es ist nicht klar, ob es noch repariert oder schon ausgeschlachtet wird. Ein Mann, der aussieht wie das leibhaftige Abbild Eilafs des Roten bei der Eroberung des Königreiches Wessex, spricht David auf gälisch an. Während ich noch überlege, wie ich Eilaf den Roten überrede, dass ich ihn fotografieren darf, erzählt David, wie er auf der Insel zum Autoverleiher wurde. "Wir sind hier nur 1.000 Einwohner auf South Uist, und meine Familie ist in dritter Generation hier. Mein Vater hat als LKW-Fahrer angefangen, dann hat er einen Transportbetrieb aufgezogen. Für die 1.000 Leute hier auf der 40 Kilometer langen Insel gabs immer was zu fahren. Ich reparierte mit meinem Bruder Autos. Jetzt repariert er. Und ich mach das mit dem Autoverleih."
Wie wir das denn mit der Rückgabe machen können?, frage ich David. Ob er einen Briefkasten hätte, in den wir den Schlüssel einwerfen können, frage ich. Aber das ist nicht Hebriden-Denke: "Stell den Wagen einfach auf dem Hof ab. Du kannst den Schlüssel einfach stecken lassen. Vertrag? Nein, brauchen wir keinen."
Zum Schluß inspiziert David noch einmal den Vauxhall, die britische Version eines Opel Corsa. Ein Möwenschiss groß wie ein Spiegelei klebt am Griff der Fahrertür, David deutet im Vorbeigehen wortlos darauf, und sein Neffe greift sich ebenso wortlos den Schrubber aus der danebenstehenden Pütz, schrubbt zweimal kurz über das Spiegelei an der Tür, das jetzt wieder flüssig der Schwerkraft nichts mehr entgegenzusetzen hat. Ein Glückspilz, wer jetzt die Fahrertür öffnen darf.
Und dann gehts auf die Piste. Ist ja nicht viel los, anfangs. Die einzige Verbindungsstraße, die zum Fährhafen in den Norden führt, ist einspurig. So einspurig, dass am Auto gerade mal ein Fahrrad vorbeikommt. Begegnen sich zwei Autos, muss eines vorher anhalten in einer der Buchten, vor denen ein Schild "Passing Place" steht. Einen solchen "Vorbeilass-Platz" gibt es alle 500 Meter. Herrscht gerade Rush Hour auf der Insel, kann es sein, dass man alle 500 Meter gezwungen ist, einen Boxenstop einzulegen. Die beste Taktik ist, sich ans Ende eines vorbeidonnernden Fünferteams zu hängen und gelassen zuzusehen, wie der erste Fahrer seine Entgegenkommer wie ein Schneepflug in die Passing Places zwingt. Dabei geht alles ausgesprochen freundlich zu. Wie in besten Motorrad Zeiten grüßen sich Entgegenkommer, zur Lästigkeit des dauernden Anhaltens an den Passing Places gesellt sich das dauernde Hand-heben-müssen. Sven, der steuert, überlegt laut, ob das vielleicht eine Durchtriebenheit der Einwohner sei, um autofahrende Touristen auszumachen? Weil sich ja eh alle kennen, muss der, der noch ahnungslos zurück grüßt, auf alle Fälle ein Tourist sein. Aber die Menschen auf South Uist sind tatsächlich so freundlich.
Auch dies macht die Landschaft aus. Ein am Straßenrand verrottender LKW. Zwei gestrandete Container. Von irgendeiner Auto-Flut hier hängengebliebene und längst vergessene Autowracks. Und die Freundlichkeit, ja Vertrauensseligkeit der Einwohner.
Die ungeheure Leere der Landschaft. Und doch in der Ferne ein Berg, der mir irgendwie vertraut ist. Kein Strauch. Kein Baum. Tundra, durchzogen von Wassserläufen und kleinen Seen. Fremdheit. Und doch Vertrautheit. Vielleicht drückt diese Landschaft eine Taste in mir, eine Erinnerung an ein entferntes Leben, wie wir als Menschheit einst in irgendeiner fernen Eiszeit überlebten, die Ahnung eines Lebens, die immer noch in einem vergessenen Winkel in uns steckt und ebenso heftig wach wird, wenn wir nach Monaten zum ersten Mal wieder am Meer oder auf einem Berg stehen.
Der Tankwart, der uns beim Bezahlen einfach nach der Anzahl getankter Liter frägt und ohne nachzusehen den Preis errechnet. Verlieren wir die Arglosigkeit gegenüber anderen, wenn wir nur mit wenigen anderen in der Weitläufigkeit einer leeren Landschaft leben? Beginnt der Krieg, wo zuviele eng auf einem Haufen miteinander leben müssen?
Die Inseln von Uist bestehen aus drei Inseln, die durch Dämme miteinander verbunden sind, South Uist, Benbecula, North-Uist. Die Straße führt vorbei an Lochs und Lochans, kleinen Seen. Sind die Hebriden denn nun Inseln, die im Wasser liegen, oder Inseln, die aus Wasser bestehen?
Am Ende dann das winzige Fischrestaurant. Auf der Suche danach fahren wir erst mal dran vorbei, aber das GPS sagt irgendwann: Hier, 10 Meter weiter muss es sein. Von Außen ist es nicht erkennbar. Drinnen nicht mehr als eine Kneipe, doch gemütlich. Muscheln und Lachs auf der Karte von der nahen Zucht. Im Regal finde ich eines jener Bücher, die längst aus unserer Welt verschwunden ist: Eine Encyclopedia Britannica in 24 Bänden! Ein gedrucktes Lexikon, längst verdrängt aus unseren Breiten von Online und Internet. Hier auf den Hebriden hat es überlebt wie eine schutzbedürftige Art in einem Reservat. Als David, der Wirt des Fischrestaurants das Essen bringt, Muscheln und Lachs und Cullen Skink, die Fischsuppe, sagt er, dass er das immer so wollte. Einen Ort, an dem seine Gäste nicht nur Fisch essen, sondern auch blättern und lesen.
Vielleicht ist diese Insel am Ende der Welt der einzige Ort, wo die Encyclopädia Britannica überlebt. Wo sie angespült wurde ans Ende der Welt. Wie die Container und die Autowracks. Wo sie und ihre Art hält sich wie die flatternde Wäsche auf der Leine.
Wann und wo habe ich eigentlich zum letzten Mal in unseren Breiten Wäsche flattern sehen?
Am Ende dann das winzige Fischrestaurant. Auf der Suche danach fahren wir erst mal dran vorbei, aber das GPS sagt irgendwann: Hier, 10 Meter weiter muss es sein. Von Außen ist es nicht erkennbar. Drinnen nicht mehr als eine Kneipe, doch gemütlich. Muscheln und Lachs auf der Karte von der nahen Zucht. Im Regal finde ich eines jener Bücher, die längst aus unserer Welt verschwunden ist: Eine Encyclopedia Britannica in 24 Bänden! Ein gedrucktes Lexikon, längst verdrängt aus unseren Breiten von Online und Internet. Hier auf den Hebriden hat es überlebt wie eine schutzbedürftige Art in einem Reservat. Als David, der Wirt des Fischrestaurants das Essen bringt, Muscheln und Lachs und Cullen Skink, die Fischsuppe, sagt er, dass er das immer so wollte. Einen Ort, an dem seine Gäste nicht nur Fisch essen, sondern auch blättern und lesen.
Vielleicht ist diese Insel am Ende der Welt der einzige Ort, wo die Encyclopädia Britannica überlebt. Wo sie angespült wurde ans Ende der Welt. Wie die Container und die Autowracks. Wo sie und ihre Art hält sich wie die flatternde Wäsche auf der Leine.
Wann und wo habe ich eigentlich zum letzten Mal in unseren Breiten Wäsche flattern sehen?
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