Meine diesjährige Segelreise wird mich von Juni an
die englische Südküste nach Westen und von dort über Irland nach Schottland führen.
Vor zwei Wochen bin vom Solent aufgebrochen und über die Needles, Dartmouth
und Falmouth Harbour zu den Scilly-Isles gesegelt,
um hier zwei Tage Starkwind mit angekündigten 30-40 Knoten abzuwettern.
Vor zwei Wochen bin vom Solent aufgebrochen und über die Needles, Dartmouth
und Falmouth Harbour zu den Scilly-Isles gesegelt,
um hier zwei Tage Starkwind mit angekündigten 30-40 Knoten abzuwettern.
In der Nacht weckt mich ein Geräusch. Es kommt von vorne am Bug, ich höre das Fauchen des Windes über dem Boot, eindeutig bläst es jetzt stärker, als noch am Abend, bevor ich einschlief.
In mein langsames Wachwerden dringt das schnelle Auf- und Abebben des Windes. Im Halbschlaf erinnert mich das Fauchen draußen an ein unbändiges, wildes Tier, ein Tiger, der wild fauchend in seinem Käfig hin und her springt, bebend vor Zorn. Als das Geräusch ein drittes Mal vom Bug kommt, zwinge ich mich aufzuwachen. Das Geräusch klingt, als würde jemand die Festmacher, mit denen das Schiff an der Boje hängt, mit übermenschlicher Kraft wie einen nassen Lappen auswringen.
"Steh auf. Geh nachsehen." Es ist kurz nach vier. Ich tappe schlaftrunken durchs Boot, ziehe mir über den Schlafanzug eine warme Hose und den Wollpullover. Dann stülpe ich wie ein Bergmann die Stirnlampe über den Kopf und gehe nach draußen und durch die Dunkelheit nach vorn. Ich habe Mühe, der Wind kommt kraftvoll genau von vorn. Tatsächlich. Das Boot schwingt im Wind so stark hin und her, dass sich die beiden Festmacher zur Boje links und rechts unter dem Anker verklemmt haben. Im Schein der Stirnlampe sehe ich, wie die Spannung das merkwürdige Geräusch erzeugt.
Ich versuche in der Dunkelheit über dem Bugkorb hängend, die Festmacher zu entwirren. Der Wind ist frisch in der Dunkelheit, "pfefferminzfrisch" nannte ich es in einem der letzten Posts, doch wärmer als ich dachte. Und stärker. Ich muss irgendwie versuchen, den 20-Kilo-schweren Anker anzuheben, damit die Leinen unter ihm durch frei laufen können. Nicht gerade meine Lieblingssportart, an einem Donnerstag Morgen um vier im flatternden Schlafanzug einen 20-Kilo-Anker in die Höhe zu wuchten. Er wehrt sich, dafür ist er ja auch gebaut. Er verklemmt sich. Es kostet mich eine Viertelstunde fruchtlosen Rumprobierens, bis ich endlich den Dreh raushabe, ihn wie eine schlafende Muräne aus seiner Höhle ziehe und oben am Bugkorb festbinde. Jetzt laufen die Festmacher frei unter ihm durch, während das Boot in den Böen hin und her schwingt. Gut gemacht. Meine Freude darüber, eine Lösung für mein Problem gefunden zu haben, ist weit stärker als die berechtigte Frage, warum ich mir das alles antue und nicht wie andere vernünftige Menschen zuhause in meinem Bett liege. Zufrieden gehe ich nach unten und bin auch gleich weg. Wer derartige Übungen absolviert, kommt ohne Schlaftabletten aus.
Am Morgen steigert sich der Wind. Der Windmesser zeigt zwischen 20 und 25 Knoten an, sechs Windstärken. Laut Wetterbericht soll er gegen 16 Uhr von sechs auf neun gehen, für den Rest der folgenden Nacht dann acht Windstärken. Es ist ein kalter Wind am Morgen, und vor allem ungewöhnlich böig, gefolgt von Pausen der Windstille. Ostwind. Er erinnert in seinem Charakter sehr an die Bora in der Adria, kalt und klar und ungewöhnlich böig und hart wehend nah an der Küste.
Ich frühstücke gerade, als Adam in seinem Boot vorbeikommt. Adam ist der Hafenmeister auf Tresco, einer der sechs bewohnten von den 146 Inseln, die zu den Scilly Isles gehören. Adam hat mir gestern einen Zettel mit Informationen über seinen Hafen dagelassen. Er ist Anfang 30 und freut sich, dass bei diesem Wetter alle seine Bojen vermietet sind. "Hochsaison im Juni", sagt Adam, "das haben wir auf Tresco selten. "Aber das Beste ist, dass ich dem Wind die nächsten zwei Tage nicht raus muss, denn bei diesem Wind legt keiner freiwillig ab. Meine Frau erwartet gerade ihr zweites Kind, und weil bei dem Wind eh keiner rausgeht und alles hier unverändert ist, muss ich nicht nachsehen gehen." Einen Moment beneide ich Adam um seinen Job. Hafenmeister auf Tresco, einer Insel, auf der 200 Menschen leben. "Ich war Segellehrer in Southampton. Dann hab ich Leute zum Yachtmaster ausgebildet im Solent, war Instructor. Als ich meine Familie gründete, suchte ich dann was Festes und fand diese Stelle auf Tresco. Ich bin ganzjährig angestellt, im Sommer die Boote, die von Cornwall aus hierherkommen und anlegen, im Winter kümmere ich mich um die Boote der Bewohner von Tresco. Mache Antifouling, repariere." Ob ihm denn nie einsam sei, hier auf der Insel. "Das gibt sich", meint Adam. "Im August ist hier Hochsaison, da wünscht Du Dir, dass es endlich wieder leerer wird und Ruhe einkehrt auf Tresco. Und Ende Februar denkst Du dann, jetzt könnte es aber langsam mal wieder vorbeisein mit der Ruhe und losgehen."
Es ist gegen elf, als Adam sich verabschiedet und zum nächsten Boot weiterfährt. 29 Knoten zeigt der Windmesser jetzt für die Böe, die Levje zur Seite drückte, als Adam weiterfuhr. Levje neigt sich jetzt stark auf die Seite, der "30-Knoten-Knicks" zur Seite, der anzeigt, dass die Böen jetzt um die 30 Knoten stark sein müssen. Ich gehe nach unten und kümmere mich um meinen kleinen Haushalt. Betten neu überziehen. Den Gasherd mal richtig schrubben. Soll keiner Denken, das mit dem Segeln wäre Urlaub.
Vier Stunden später, gegen 15 Uhr. Die Böen kommen jetzt nicht mehr in Abständen, sondern folgen schnell aufeinander. Der Windmesser im Masttop zeigt in der Spitze jetzt fast 34 Knoten. Windstärke sieben, ich hoffe, dass es dabei bleibt. Halte ich das Handwindmeßgerät in die Luft, ist es sofort auf 31 Knoten. Ich gehe zum x-ten Mal nach vorn, um die Festmacher an der Boje zu kontrollieren. Auf dem Rückweg muss ich mich festhalten, der Wind schiebt mich schnell übers Deck. Die Festmacher vorne sahen gut aus. Auch das Dinghi am Heck eiert brav an seiner Reepschnur im Wind.
Dann hole ich mir Edelstahl-Putzzeug und poliere den Gasherd, weil mir das ergebnis noch nicht gefällt. Zur Belohnung gibts dann ein Stück Bitterschokolade mit karameliserten Orangenstückchen, die ich gestern für sündhaft teure 4 Pfund im Supermarkt auf Tresco fand. Sie ist jeden Penny wert, genauso wie der offene Parmesan dort, die Kalamata-Oliven oder das ofenfrische Brot aus der Bäckerei, dessentwegen ich gestern vor dem Sturm noch an Land ruderte. Von allen Supermärkten, die ich zwischen hier und dem Solent besuchte, ist der Supermarkt für die 200 Einwohner von Tresco mit weitem Abstand der qualitativ Hochwertigste. Mit dem Essen ist es in England wie vor 40 Jahren: Entweder ein kapitaler Absturz oder Oberliga, England scheint, was Essen angeht, immer noch eine ausgesprochene Klassengesellschaft.
18 Uhr. Die Böen kommen jetzt ohne Unterlass, auf dem Wasser bilden sich keine 50 Meter vom Ufer entfernt Schaumkronen. Das Fauchen ist jetzt immer über dem Boot, es steigert sich und bringt die Reffleine des eingerollten Groß in Schwingung, obwohl ich sie straff gespannt habe. Fast 35 Knoten zeigt der Windmesser, das Boot beginnt zu vibrieren in heftigen Böen. 35 Knoten ist, als würde jemand in einem Raum arglos den Knopf eines Handtrockners betätigen und im Bruchteil einer Sekunde beschleunigt die Luft in diesem Raum von 0 auf 60 Stundenkilometer, eine Geschwindigkeit, bei der sich der mesnchliche Körper gegen die Luftmassen stemmen muss, will er nicht umfallen.
Halb zehn. Langsam senkt sich die Sonne über Hangman's Island, der Insel hinter mir, auf der oben ein Galgen steht und irgendetwas baumelt. Ich glaube nicht, dass der Galgen noch aus alter Zeit ist, aber Namen von Orten haben nunmal ihre Bedeutung. Ich werde jetzt noch eine Runde übers Deck drehen. Vorne nach den Festmachern sehen und hinten nach dem Dinghi. Ich hoffe, dass der Wind über Nacht etwas abflaut. Aber immer wenn ich denke, dasss er schwächer wird, weil die Böen eine Pause machen, belehren sie mich eines besseren und zerren und rütteln am Boot. Bevor wieder ein Moment Ruhe einkehrt.