Dienstag, 10. Oktober 2017

Sizilische Geschichten (2): Die größte Segelyacht der Welt. Oder: Von Schönheit und Häßlichkeit.

Sciacca ist eine 40.000-Einwohner-Stadt, wie es so manche an der Südküste Siziliens gibt.
Man lebt überwiegend von Landwirtschaft und Fischfang, isst hervorragend und lässt den lieben Gott einen netten Mann sein. Weil ich mit Levje hier überwintere, drum berichte ich lose in den Sizilischen Geschichten über diesen Ort und seine Menschen. Denn Sciacca ist überall.
Und dann liegt sie plötzlich an diesem Morgen vor der Stadt: Die "A", so heißt sie. Die größte Segelyacht der Welt. Als hätte sie irgendein Sonnensturm von einem anderen Planeten vor den Hafen von Sciacca geweht. Um sie zu beschreiben, lässt man am besten die Erotik der nackten Zahlen wirken: 
Über 140 Meter lang. 
Acht Stockwerke hoch.
Jeder der gekrümmten Masten ist über 90 Meter lang, fast ein Fußballfeld. Und steht frei, ohne Wanten und Stagen.
Platz für 20 Gäste. Um die sich 54 Besatzungsmitglieder kümmern.
Segelfläche der drei Segel? Ob 3.000 Quadratmeter reichen. Wohl kaum. Es sind deutlich mehr als 30 100-Quadratmeter-Wohnungen.

Hab ich was vergessen? Ach ja. Den Kiel aus gekrümmten Glas, durch den man die Welt unter Wasser bestaunen kann.










Wer nun aber denkt, damit wäre alles gesagt, der irrt. Hier beginnen die Diskussionen erst, denn die Männer Sciaccas kommen aus der näheren und weiteren Umgebung zum Hafen, als wäre die TITANIC vor den Mauern ihrer Stadt auferstanden. Die Marineros aus dem Segelclub. Die Werftarbeiter. Fischer. Rentner. Die Carabinieri Sciaccas, die - weil es sich für sie nicht anders geziemt - zum Bestaunen des Wunderwerks nicht wie die anderen die Hafenmole erklimmen, sondern die Smartphones zum Fotografieren einfach aus dem Auto in die Höhe recken.


"Che cosa e?", fragt Pippo, Student, der mit seiner Freundin auf die Hafenmole geklettert ist. "Was ist das? Ein Kriegsschiff?"

"E la piu brutta barca del mondo" -"Es ist die hässlichste Yacht der Welt", knurrt Nino, der auf der Werft den Hubkran fährt und früher Maurer war. Und die anderen von der Werft, die hinter dem Zaun hängen, geben ihm recht. Wie kann man nur mit so viel Geld so etwas hässliches erschaffen.

"Sie ist da, um mich abzuholen", grinst Angelo lässig.

Nur Carlo sagt erstmal nichts und schaut gebannt auf das Schiff. Er fuhr als Fischer zur See, bevor er als Marinero im CIRCOLO NAUTICO begann. "Ich finde sie schön", meint er leise. "Einfach nur schön. Sie ist so schön futuristisch. So einzigartig. Nein, ich finde sie schön."

Man muss das den Männern von Sciacca ja schon lassen: In der Summe repräsentieren sie, was die Welt im allgemeinen so über die "A" eben denkt. Ein silbrig glänzendes Zäpfchen, so kantig, dass es im Hintern schmerzt. Ein Wunderwerk der Technik. Ein schillerndes Ding, das rätselhaft sein Gleichgewicht zwischen Hässlichkeit und Schönheit auf Messers Schneide balanciert.

Und weil der Faszination nicht genug ist, kommt, kaum dass es ein Uhr schlägt, das Beiboot der "A" angesaust, rätselhaft wie Raumschiff Orion aus der Fernsehserie der Sechziger, verlockend wie die Sünde. Legt an der Pier an. Und entlässt seine Gäste.

Doch wer gehofft hatte, einen Blick auf den Mann werfen zu können, dem all das gehört und noch viel mehr, der wird enttäuscht. Andrei Igorewitsch Melnichenko, einstiger Physikstudent und heute achtreichster Russe mit geschätzten 13,2 Milliarden US-Dollar, ist nicht dabei, um sich Sciacca anzusehen. Was schade ist.




Leise sirrend schieben die beiden Bowthruster das Beiboot der "A" einfach weg von der Pier. Es dreht majestätisch, bevor es dann auch gleich aus dem Hafen verschwindet.

Ich sitze am Abend auf Levje. Und sehe sie immer noch vor mir in der Dunkelheit. Die "A" und ihre drei roten Lichter auf den Mastspitzen. Sie leuchten, als wäre sie wirklich von einem anderen Stern.




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1 Kommentar:

  1. Schöner Bericht. Die A wird bestimmt am Weg nach Malta sein zum Rolex Middle Sea Race...

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