Montag, 5. Juni 2017

Levje. Ein Abschied. Von einem kreuzbraven Schiff.

Weil mein Schiff am Kiel undicht ist, bin ich anders als geplant nicht losgesegelt. 
Und werde ich auch die nächsten vier Wochen nicht segeln. 
Stattdessen werde ich Geschichten erzählen, die zu erzählen ich 
den Winter über keine Zeit fand. Geschichten aus den Häfen. 
In und um San Giorgio di Nogaro im Friaul.



Es ist heiß am Pfingstsamstag in San Giorgio di Nogaro. Ein Boot ins Wasser zu lassen ist kein Pappenstiel, auch nicht für Maurizio, der sein Leben lang nichts anderes tut als tonnenschwere Boote zu Wasser zu lassen. Jeden Tag. Tagein - tagaus. Jeden Tag zwischen fünf und sechs Schiffe. Aber nicht bloß deswegen ist Maurizio mein Held - ich schrieb über ihn und das blaue Ungetüm weiter unten.



Am heutigen Tag ist meine LEVJE dran. Ein halbes Jahr stand sie jetzt im Hafen. Trotzte den Winterstürmen. Den Minusgraden. Und regenschwerem Scirocco. Als es wärmer wurde, bekam sie ihr Unterwasserschiff runter, sogar zwei Schichten Glas. Und jetzt: Ist sie hübscher, als sie je vorher war. Es ist zwei, als Maurizio seinen 140-Tonnen-Kran um die Ecke rollt, um mein 3,5-Tonnen leichtes Schiff abzuholen. Um es schwebend wie ein Luftschiff, vorbei an Werkshallen und anderen am Land stehenden Yachten langsam auf riesigen Rädern Richtung Flußhafen am Oberlauf des Corno zu rollen. LEVJE geht nun ins Wasser. Und in andere Hände über, denn ich habe sie verkauft.

Von alledem weiß Maurizio, der Kranführer, natürlich herzlich wenig. Sein Job ist es, Schiffe zu kranen. Von Februar bis Juli krant Maurizio Schiffe ins Wasser. Ich habe nachgerechnet: Es müssten so um die 500 sein. Jeden Tag zwischen fünf, sechs? Das Ganze fünf Monate mal 20 Arbeitstage lang. Und dreißig Jahre. Mit Tonnen jonglieren. Tag für Tag.

Eine Sache beginnen, wie das mit dem Anfang ist, darüber wissen wir recht gut Bescheid. "... und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne", hat uns Hermann Hesse eingebläut. Aber wie ist das mit dem Abschied? Welchen Stellenwert hat er in unserem Leben? Mir fällt der Abschied von etwas Liebgewonnenem echt schwer. Überhaupt fällt mir etwas weggeben, aus meinem Leben eliminieren sehr schwer. Dabei bin ich doch ein typischer Westeuropäer. Nenne 100.000 Dinge mein Eigen, so hat das jedenfalls Frank Trentmann ausgerechnet, und er sagt uns auch, dass es vor 500 Jahren nur 5 Sachen waren, die ein durchschnittlicher Mensch besaß. Bei 100.000 Sachen sollte es doch leichtfallen, etwas wegzugeben?

Aber nichts da. LEVJE, die wir "Liebchen" nannten, ist in meinem Leben etwas Besonderes. Nicht bloß ein Ding. Sondern etwas, das mich in einen neuen Lebensabschnitt trug, als ein großer Abschnitt endete. Ich verdanke meinen Schiff Schritte in ein neues Leben.


Ich gebe zu: Ich bin traurig. Irgendwo auf diesen Seiten schrieb ich einmal, ein Gefährt würde zum Gefährten, wenn man damit neue Schritte ins Leben macht. Sein Leben ändert. Etwas neues unternimmt. Vielleicht steckt dahinter ja das Kalkül der Nachkriegs-Geneneration, die wir nun einmal  sind. Der Glaube, dass sich mit "etwas besitzen", ein Fahrzeug "HABEN", schon die rechte Unabhängigkeit sich im Leben einstellen wird. Das erste Fahrrad, mit dem ich Fahrrad fahren lernte. Das dritte Fahrrad, mit dem ich meinen Radius in die Welt vergrößerte: Meist träumend.


Und jetzt? 

Maurizio, der so alt ist wie ich?
Vielleicht war er zu Pfingsten mit seiner kleinen Tochter an seinem Lieblingsstrand von Bibione - da, wo es einsam ist. Und der Strand nicht touristisch überlaufen ist. Vielleicht hat er ein Picknick gemacht. Bis Juli wird er wird er weiter Schiffe ins Wasser kranen. Große. Und Kleine. Jeden Tag zwischen sechs und zehn.

LEVJE? 
Sie wird mit Susanne und Wolfgang diesen Sommer wohl an den Häfen der Nordadria unterwegs sein. Irgendwo zwischen Triest und Venedig. LEVJE I hat hat einiges gesehen in der Welt: Hooksiel/D. Ijsselmeer/NL. Dann Izola/SLO. Von dort durch die Ägäis nach Antalya/TR. Kreta/GR. Sizilien/I. Sie hat viel gesehen. 
Leb wohl, mein Liebchen. Gib auf Dich acht.

Ich?
Werde mich in den nächsten Tagen auf den Weg machen. Auf LEVJE II. Gen Süden. 
Zu gern würde ich diesen Post enden lassen wie Rollo Gebhard jedes seiner sieben Bücher: "Und dann ziehe ich weiter. Unter weißen Segeln neuen Abenteuern entgegen."














2 Kommentare:

  1. Einfach einmalig schön beschrieben, ein Blog mit Tiefgang, ich nenne es mal: "Segeln mit Seele."

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  2. Lieber Klaus, vielen Dank für Deinen Kommentar! Mich hat ja schon gestern morgen Dein FB-Post an Susanne sehr gefreut, in der Du Ihr zu LEVJE I als "Boot voller Geschichten" gratuliertest. Freue mich, wenn Dir mein Text was sagte,

    grüße
    th.

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