Dienstag, 23. August 2016

Einhand um Sizilien, Teil VII: Durch die Straße von Messina. Windhosen.Böen. Und die Spur des Odysseus.

In lockerer Reihenfolge erzähle ich in dieser Artikelserie meine Reise 
um Sizilien auf meiner 31-Fuß-Yacht LEVJE im Sommer 2016. 
Alle Artikel dieser Reihe finden Sie auf click HIER.

Bei der Einfahrt in die Straße von Messina vergangene Woche: Zwei Windhosen. Die weiße links befindet sich gerade in Auflösung, während der kleine bleigraue Schlauch weiter rechts gerade dabei ist, sich auszubilden. Selbst wenn alles weit entfernt ist, wird der Segler auf seinem kleinen Gefährt doch ehrfürchtig.















Das Nachdenken über Homer, über Odysseus und seine wundersame Odyssee und deren genaue Route: Es gehört zum Segeln im Mittelmeer. Unzählige Autoren haben über das Thema geschrieben. Von Göran Schildt's "Im Kielwasser des Odysseus" bis "Terra X", Folge 27 und YOUTUBE: Odysseus und seine Reiseroute bewegen die Gemüter. Bis heute.

Die Felsen vor dem sizilischen Aci Trezza. Und warum sie wegen Odysseus hier liegen...


An kaum einem anderen Abschnitt des Mittelmeeres, nicht in der Ägäis, nicht im türkischen Kleinasien, schon gar nicht im heutigen Ithaka, dessen felsigen Boden die Schliemanns und Dörpfelds vergebens durchgruben, stößt man auf derart viele Hinweise auf Odysseus und die Beschreibung seiner Reise wie im Gebiet zwischen Süditalien und der Ostküste Siziliens.  "Odysseo" hier. "Ulysse" da.

Das hat mit zweierlei zu tun. Erstens damit, dass in diesem geografischen Gebiet zwischen der Schuhsohle des italienischen Stiefels und der Küste unterm Ätna sehr viele Orte sich und ihre Geschichte mit Odysseus in Verbindung bringen. Nehmen wir mal das unschuldige Dörfchen Aci Trezza. Das liegt genau zwischen Taormina und Catania unterhalb des Ätna an einem Küstenstrich,  der dank Goethe zu den Keimzellen und Brutstätten des modernen Tourismus gehört. Dort erzählt man sich und jedem Fremden, der es hören mag, die Geschichte, dass die merkwürdigen Basaltformationen, die den Hafen von Aci Trezza heute so malerisch einrahmen, von Polyphem selbst stammen. Der einäugige Riese hätte sie, berauscht, seines einzigen Auges beraubt und von Odysseus wie ein 'Looser' aufs Kreuz gelegt, wütend dem Flüchtenden ins Meer hinaus nachgeschleudert - wo sie noch heute stehen.

Eine schöne Geschichte. Sie ist natürlich nicht wahr, aber doch bewundernswert gut erfunden. Vermutlich stammt sie von einem hochbegabten Dorfschullehrer, der Anfang des 19. Jahrhunderts im Dorf seine Lümmel endlich mal für lokale Geologie interessieren wollte. Was bei den Lümmeln in der Schule funktioniert, funktioniert erst recht beim Touristen. Und so hielt sich die Geschichte vom geblendeten Polyphem und seinen Steinen in der Welt bis heute. Und ziert jeden Sizilien-Reiseführer. Menschen wollen Emotionen. Sonst funktioniert ihr Hirn schlecht, sagt Hansgeorg Häusl, Gehirnforscher und Marketing-Messias.

Aber auch neue Geschichten kommen hinzu. So benamst das schöne Roccella Ionica, das eigentlich dank Italiens größtem Jazz Festival und einer wunderschönen Küste mit Bergen umwerfender 'Antipasti di Pesce' über mangelnden Touristenzuspruch nicht zu klagen braucht, seine Marina "Porto di Ulisse" - Hafen des Odysseus. Einen Hafen gabs hier, bevor neuzeitliche Investoren im Bund mit Marketing-Genies ihn gebaren, nie.

Es gibt - zweitens - neben diesen gelungenen Kreationen aus alten und neuen Marketing-Lab's aber Orte, an denen sich echte Bezüge herstellen lassen, zu Odysseus.

Nehmen wir mal die Geschichte von Scylla und Carybdis. Scylla, ein widerwärtiges Meerungeheuer, das von einem Felsen am Festland heraus die geifertriefenden Zähne seiner sechs Köpfe in die Leiber der vorbeifahrenden Matrosen schlägt. Und sie frisst. Und gegenüber Charybdis. Der Strudel, der drei Mal am Tag Meerwasser einsaugt und gurgelnd wieder ausspeit und dadurch Mannschaften und Schiffe in Bedrängnis bringt.



Natürlich ist das erstunken und erlogen. Aber eben nicht wirklich schlecht erfunden. Deshalb weil:

Auf Lipari hatten wir herrliche Tage verbracht - siehe die letzten Posts über Vulkane und heiße Quellen. Vor allem hatte ich auf guten Wind gewartet, der sich in Gestalt eines Nordwest 5-6 zeigte und schnelle Fahrt zur 35 Seemeilen östlich gelegenen Einfahrt in die Straße von Messina verhieß. Der Wind kam pünktlich Nachmittags um zwei und trieb uns der Meerenge entgegen. Bis sich - wie schon an der vorherigen Tagen auch - Windhosen genau voraus an der Einfahrt in die Straße von Messina zeigten, wie im ersten Foto sichtbar. Auch wenn ich annahm, dass die Windhosen mit dem Nordwest mit und damit von uns weg zogen, sind sie immer noch ein beeindruckendes Wetterphänomen, auf dem man besser unablässig seine wachsames Auge ruhen lässt statt es einfach auf die leichte Schulter zu nehmen.

Nicht auszudenken, wenn man da hinein segelte in einen der beiden Schläuche, die wie die Schlünde eines Ungeheuers vom Himmel aufs Meer herunter ragen. Und die Mannschaft vom Deck eines Schiffes fressen...

Charybdis, der große Strudel. Noch Rod Heikell zitiert in seinem KÜSTENHANDBUCH ITALIEN  für die Straße von Messina das ihm vorliegende  KÜSTENHANDBUCH DER BRITISCHEN ADMIRALITÄT: "Die aus der Antike bekannten Strömungen und Strudel sind dergestalt, dass eine gewisse Vorsicht beim Befahren der Straße von Messina notwendig ist, außerdem sind Schiffe auf beiden Seiten der Straße in der Nähe des Hochlandes heftigen Böen ausgesetzt, die durch die Täler auf die Wasserstraße mit solcher Stärke einfallen, dass ein kleineres Schiff schon mal in Bedrängnis kommt."

Natürlich laufen vor allem an der Engstelle starke Strömungen, sie sind eher die Ausnahme. Die Versetzung durch Strom stellt man aber immer noch fest, wenn man die Engen passiert. Genauso wie die merkwürdigen "Zipfelmützen" auf dem Wasser, die ich beim ersten Befahren der Meerenge 2004 bemerkt hatte: Wirbel und auffällige Strömungsmuster, die meine damalige Crew faszinierten. Rod Heikell: "Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Straße von Messina in der Antike viel gefährlicher war" -  bis 1783 ein Erdbeben die Topografie des Meeresbodens veränderte. Und dem Strudel, der sich vor der Ortschaft Scilla befand, den Graus machte. Heikell zitiert den Bericht eines britischen Admirals von 1824: "'Ich habe mehrere Kriegsschiffe gesehen, darunter eines mit 74 Kanonen, die herumgewirbelt wurden, als sie in die Strudel gerieten."

In der Dunkelheit gegen 22 Uhr kamen wir in Messina an und blieben die Nacht über dort. Die Weiterfahrt am nächsten Tag hatte es in sich. Gegen Mittag in Messina erst Windstille. Dann eine Böenwalze von steuerbord achtern von den sizilischen Hängen herunter, die LEVJE wechselweise flach aufs Wasser legte. Und dann ungebremst in den Wind schießen ließ. So ging es das ganze Stück nach Süden von Messina bis hinaus aus der Straße. Wo nach drei Stunden der Spuk ganz plötzlich vorbei war, als hätte jemand den Schalter des Ventilators ausgeknipst. Und den Rest des Tages nur noch endlose Motorenstunden uns nach Taormina brachten.

Was, wenn die Geschichten von Odysseus wahr wären?
Wenn sich in den Erzählungen einfach die Geschichten der Seeleute vor 3.000 Jahren wiederfinden, die sie sich in den Kneipen erzählten? In die sie ihre Erfahrungen mit regionalen Wetteranomalien verpackten? Und an andere Seereisende weitergaben?

Nehmen wir mal die Geschichte vom Windsack des Odysseus. Sie erinnern sich, ja? Odysseus hatte ja sein Fernbleiben vom häuslichen Herd, sein jahrzehntelange Herumtreiberei im Mittelmeer - öffentlich, wohl in Richtung seiner Frau? - so begründet:

Der Windgott Aiolos habe ihm einen Lederbeutel unbekannten Inhalts geschenkt, der keinesfalls vor Ankunft in Ithaka geöffnet werden sollte.
Zwei gierige Matrosen an Bord des Schiffes konnten sich aber nicht beherrschen. Und öffneten den Sack, als Ithaka in Sichtweite war.
Wie durch Zauber entsprangen dem Sack kreuz und quer durcheinander fahrende Böen und Winde, die Odysseus' Boot von der ersehnten Küste und seiner geliebten Penelope weg hinaus aufs Meer trieben. Wo er dann für weitere zehn Jahre herumirren musste. Wir wissen: Es war nicht immer nur zu seinem Leidwesen.

Was an der Geschichte richtig ist, sind die stets wechselnden Winde in und östlich der Straße von Messina. Wer jemals den gleichnamigen Golf bei dem Örtchen Squilace durchsegelte, der weiß, wovon die Rede ist. Wechselnde Winde. Winde von hier nach da. Eben ein Nichts. Dann ein grimmiges Hui. Ein Fauchen. Oder wie italienische Segler heute sagen:

"Il Golfo di Squillace
al Marinaio non da pace!"

Der Golf von Squillace - er lässt dem Seemann keine Ruh'. Nein Homer, Odysseus: Sie haben recht. Die Orte zu identifizieren, an denen Odysseus unterwegs war, wird weiterhin Generationen unterhalten. Und nur gelegentlich gelingen. Aber in seine Lügen-Geschichten von Lotosesssern und einäugigen Riesen und schönen Frauen und bösen Männern sind eine Art 3.000 Jahre alter NAVTEX-Mitteilungen eingeflossen. Regionale Warnungen vor Wind. Und Wetter. Und Wellen. Geschichten, Erfahrungen von Seeleuten, die vor drei Jahrtausenden die Orte, die Meere befuhren und das erzählten. Sie hatten erlebt, was wir heute noch erleben.



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