Samstag, 23. Juli 2016

Einhand um Sizilien, Teil III: Die Westküste. In Mazara del Vallo.



In lockerer Reihenfolge erzähle ich in dieser Artikelserie meine Reise 
um Sizilien auf meiner 31-Fuß-Yacht LEVJE im Sommer 2016. 
Alle Artikel dieser Reihe finden Sie auf click HIER.


Von Sciacca sind es gute fünf Stunden bis nach Mazara del Vallo. Vom Boot aus gesehen weitet sich die Landschaft an der Südwestecke zu einem sanften, sandigen Golfs. Lange Ferienorte mit einsamen Sandstränden, an denen eben nichts, aber auch gar nichts los ist, begleiten den Segler auf seinem Weg nach Westen. Kein „Ombrellone“ in Sicht, kein mietbarer Sonnenschirm, kein „Lettino“, das zu jedem Sandstrand Italiens gehört wie der Kern zur Kirsche. Wer hier wohl Urlaub macht? Wer hier wohl lebt? Ein paar Kinder, die weit entfernt am Ufer spielen. Sonst nichts. Die Landschaft ändert sich am Capo Granitola: Von nun an führt der Kurs an einem felsigen Ufer entlang nach Nordwest, der Hafen von Mazara del Vallo ist in eineinhalb Stunde erreicht, die MARINA ADINA macht das Ankommen leicht.

Nicht unbedingt leicht macht es einem das 50.000 Einwohner-Städtchen Mazara del Vallo selber. Der Stadtkern aus zweistöckigen sandfarbenen Kuben. Eine Hand voll 80er Jahre Hochhäuser in der Ferne. Am Hafen sechs, sieben Camper mit „Zinghari“, Zigeunern. Im Màzaro, dem 30 Kilometer langen Fluss, der wenige Schritte vom Hafen ins Meer mündet, steht in der Hitze des Nachmittags schmutziges Brackwasser. Es schert sich wenig um das „Haltet unseren Fluss sauber“, das jemand in ungeschlachten Lettern auf einen verrottenden Fischerkahn sprayte. Am Ufer entlang kleine Geschäfte, mit blechernen Garagentoren verschlossen - es ist ja Nachmittag. Der Fluss windet sich, vorbei an Werften am anderen Ufer, in denen Yachten vergessen aufgepallt zwischen nagelneuen Schiffen verfallen. Ein Trawler, davor an rotten Tauen hängend. Im träge stehenden Braun schaukelt meterlang das Skelett eines großen Fisches. Große Wirbel und Gräten unter der Wasseroberfläche. Nur der armbreite, flache Schädel ragt aus dem schmutzigen Wasser, angenagt von Fischen, Aas für die Möwen. Plötzlich bin ich mittendrin in Hemmingways Geschichte vom ALTEN MANN UND DEM MEER. Und wie der alte Mann am Ende der Geschichte den großen Fisch, den er erjagt, ganz den Haien überlassen muss, so scheint auch dem Städtchen Mazara del Vallo der große Fang zu entgleiten. Neben dem Hafen ein nagelneues Gebäude mit Fischmarkt. Aber die drei, vier Händler blicken den Fremden an, als käme nun der Scheich durch die Tür. Und mit ihm endlich, endlich das große Glück. Ich muss sie enttäuschen. Ein Merluzzo, ein Kabeljau, der ist wenigstens nicht aus Aquakultur. Ein Stück Thunfisch. Und ein paar Heuschreckenkrebse. Auf Gemüsebett gibt das gegrillt zusammen mit eiskaltem Frizzantino ein umwerfendes Abendessen. Die Fischhändler, bei denen wir nichts kaufen, blicken schmachtend drein.


Der Spaziergang am nächsten Tag: Mazara del Vallo gibt sich sperrig. Das Zentrum der Stadt: Die Kasbah. Neben dem Rekord, die größte Fischfangflotte Italiens zu besitzen, lebt in Mazara del Vallo schon immer Italiens größte Kolonie an Tunesiern und Maghrebinern. Vielleicht deswegen, weil Mazara del Vallo der Punkt ist in Europa, der Tunesien, dem Maghreb dem am nächsten liegt? Die Stadt - ein brodelndes Etwas aus Sizilien und Tunesien und Maghreb überhaupt. Und weil das so ist, heißt eben die Innenstadt nicht „Centro“, sondern Kasbah. 


Und das ist sie auch. Winklige Gassen, die plötzlich im Nichts enden. Oder auf orientalisch anmutenden Plätzen. Kleine Kuben von Häusern, dekoriert mit kunstvoll bemalten Fliesen - jeder Kubus in der Kasbah trägt eine anders bemalte Fliese. 


Verlassen und leer liegen die Gassen in der Mittagshitze. Irgendein Geschrei hinter zugezogenen Vorhängen. Ein Postbote, der die Gassen auf seinem gelben Motorroller entlangknattert. Wie weiß der Postbote eigentlich, wo wer wohnt, wenn die kleinen Gassen kaum Namen und die Häuser weder Nummern noch Namen tragen? Eine einfache kleine Welt, doch voll der Wunder und Rätsel. Ein wenig verlaufe ich mich in den einsamen Gassen, stehe plötzlich irgendwo, wo es nicht weitergeht und die Gasse in einem Hauseingang, einem Treppenaufgang endet. 


Doch so schnell wie ich in diesem Labyrinth drin war, bin ich auch wieder draußen: Wo die nette Kasbah aufhört, in der ihre Bewohner adrett den Müll in Tüten zum Abholen an die Fenster hängen, damit die Katzen nicht rankommen, stehe ich plötzlich - vor einem riesigen



Berg von Mülltüten, der sich in der Straße vor einer Hauswand türmt, direkt unter dem Schild, doch hier keinen Müll abzulegen. Die Mülltütenberge: Sie gehörten zum Bild von Palermo Anfang der Achziger Jahre, als ich zum ersten Mal Palermo besuchte und erschüttert war: Wie sich die stinkenden Hügel hinzogen die Hauswände entlang. Die Müllhügel gibt es heute noch, nicht überall. Aber mancherorts wie im Umland des Flughafens von Palermo. Hundert Meter lange Reihen entlang der Schnellstraßen, wo man einfach kurz hält. Am ausgestreckten Arm den Müllbeutel aus dem Wagen fallen lässt. Und hofft, dass die Müllabfuhr nicht erst in drei Wochen zu dieser wilden Sammelstelle kommt. 

Wieder einmal bin ich konfrontiert mit den zwei Gesichtern Siziliens: Dem neuen, das sich modern zeigt, mal entschlossen, mal zaghaft neue Wege geht. Catania. Siracusa. Ragusa. Und dem alten Sizilien der 70er, 80er Jahren, das Sizilien „senza speranza“, ohne Hoffnung. Wo sich der Müll vor barocken Altären der Gassen türmt. Wo Schönheit und Elend ganz, ganz nah beeinander liegen und eine Ehe eingehen. Und genauso ist es hier. Nur wenige Schritte neben dem stinkenden Berg aus Mülltüten trete ich ins Dunkel einer Kirche. Stehe plötzlich im 


gleissendsten Barock und einer Fülle an Schönheit, die mit jeder Wieskirche mithalten kann. Das Barock stürzt in vollem Schwall auf mich ein wie ein Wasserfall, Farben, rankendes Blattwerk, Stein gewordene Anmut, in der ich allein stehe. Nur der Küster lächelt freundlich, als ich durch diese Welt der Stein und Gemälde gewordenen Geschichten laufe, vor und zurück und wieder vor und gar nicht fertig werde mit all dem Rot und Gold und dem Gestus, der da vor mir strahlend liegt.




Vielleicht ist eben das Sizilien. Irgendwie ist Sizilien wie eine Reise in das alte Italien. Das der späten Siebziger, frühen Achziger Jahre. In der Marinas, Malls und Macdonalds noch nicht existieren. Und der Müll noch in den Straßen liegt. Eine Welt, in der noch kein Modernisierungsschub eingesetzt hat und die Vokabel von der „Wettbewerbsfähigkeit“ noch nicht mal begonnen hat, sich ihren Weg in Denken und Vokabular zu suchen. 

Nein, auch wenn es Mazara del Vallo dem Reisenden nicht leicht macht: Auch dies ist das Sizilien, das den Reisenden einfängt und fasziniert und ihn verstehen lässt: Warum die Elterngeneration sagte: „Unsere Hochzeitsreise? Nach Sizilien!“




Mare Più: heißt "mehr Meer". 
Und wenn Sie mehr Geschichten 
über die Menschen am Meer lesen wollen:



Wie es ist, auf einem kleinen Segelboot
• Italien
• Griechenland
• Türkei
zu bereisen. Und in fünf Monaten: Von München nach Antalya zu reisen.


Auch als Film:  


Demnächst auch in den CINEPLEX-Kinos 
in Aichach und Germering bei München.

Das sagt die Presse über Buch und Film:

"... ein Sehnsuchtsbuch par excellence.
Und ein echtes sinnliches Erlebnis."
MÄRKISCHE ZEITUNG im Oktober 2015

"... eröffnet dem Weltenbummler ganz wunderbare Traumziele, auf die man 
bei üblicher Herangehensweise schwerlich gekommen wäre."
YACHT im Mai 2015 

"Die Besonderheit des einstündigen Streifens ist seine Ruhe. 
Eine Ruhe, die der Film mit poetisch angehauchter Sprache und sinnlichen Bildern von Szene zu Szene eingehender vermittelt."
SEGELREPORTER im Dezember 2015

"... ein schönes, ein gelungenes Werk, animierend und inspirierend."
LITERATURBOOT im Juli 2015

"Absolut empfehlenswert!
Für Reisebegeisterte ist 'Einmal München-Antalya, bitte!' definitiv zu empfehlen."

RATGEBER.REISE. im Juni 2015






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