Freitag, 30. Oktober 2015

Unter Segeln von Korfu nach Sizilien: Tag 5: Schwankend durch die stürmische Nacht. Im Golf von Tarent.

Diese Artikelreihe beschreibt meine Reise in der zweiten Oktoberhälfte 2015 von Korfu nach Sizilien. In den vorangegangenen Artikeln schrieb ich über die Reise von Korfu's Hauptstadt Kerkyra durch die Nacht nach Santa Maria di Leuca an den äußersten Absatz des italienischen Stiefels. Im folgenden die 40 Stunden von Santa Maria di Leuca nach Catania.

Reisebeschreibung ganz von Anfang an Lesen: Nach unten scrollen.



Und dann: ist es plötzlich da, das Wetter, auf das wir gewartet hatten. Am späten Nachmittag waren Gewitter über dem Golf von Tarent aufgetaucht und östlich gezogen. Sie hatten die Sonnentage verscheucht und Wolken und Platzregen gebracht. Mit den Gewittern war der Wind auf Nordost gesprungen, und kaum ließ der Regen nach, vor dem wir uns in LEVJEs Inneres geflüchtet hatten, da krabbelten wir wie die Maikäferlarven im Frühling aus LEVJEs Bauch, schauten in die wolkenschwere Abenddämmerung, legten ab und segelten los, dahin, wo irgendwo im Dämmerlicht die Sonne versank, nach Westen.
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Kaum war das letzte Licht der Sonne weg, war nichts mehr zu sehen. Kuhnacht. Nur eine dichte Wolkendecke über uns, hinter der irgendwo der Mond steckte, und das rotgrüne Buglicht vor uns, das die Schaumkronen leuchtend grün färbte, wenn sie unter LEVJE hindurchrauschend vorne am Bug ankamen und danach wieder im Dunkel verschwanden. Der Wind legte zu, je weiter wir uns von Santa Maria di Leuca entfernten, er kam genau von hinten, und das machte das Segeln ungemütlich. Denn nicht nur der Wind, auch die Wellen nahmen mit jedem Meter von der Küste weg zu. Nur wenige Meter hinter dem Hafen hatten wir die Genua gesetzt, das große Vorsegel, das Groß blieb drin, zu wackelig war der Kurs, ich wollte trotz Baumbremse mit LEVJE im Dunkel keine Patenthalse riskieren. LEVJE beschleunigte zuerst auf fünf Knoten, später auf sieben, dann auf acht oder gar neun, wenn im Dunkel die großen Wellen aus dem Golf von Tarent heranrauschten, ihr Heck packten und das ganze Schiff zu drehen, aus seinem Kurs zu bringen versuchten. 
Segeln auf einem Boot mit achterlichem Starkwind: Das ist für jedes Boot ein anstrengender Kurs, erst recht, wenn das Großsegel drin bleiben muss. Der Wind von hinten lässt LEVJE in den Wellen geigen, sie schaukelt von liiiiinks langsam nach reeeeeechts, und dann wieder nach liiiiiiiinks und dann wieder nach reeeeeeeechts. Unter Deck beginnt das Konzert: Die Gläser im Gläserschapp klirren erbärmlich, ein Schott beginnt rythmisch zu knarzen, immer wenn LEVJE sich auf eine Seite legt, das feine, langsame Strömen des Wassers, das nur wenige Zentimeter von meinem Kopf entfernt an LEVJEs kartondünner Außenwand entlangströmt, während ich versuche, ein Auge zuzumachen. Alles schwingt, wackelt, kullert im schwachen Schein des Arbeitslichts und der beiden Lampions unter Deck, die Tomaten vorne im Obstnetz haben sich ungefragt Ausgang gegeben und kullern nun mit allem, was auf dem Kartentisch lag, über den Schiffsboden, Bleistifte, W-LAN-Router, ein paar Schrauben, Papiere, meine Blocks, eine Flasche Wasser, eine der Taschenlampen, die Salonkissen, mein blaues Tuch, die Tube Sekundenkleber, dies und das. Im Nu ist LEVJE im Dunkel unter Deck in den Zustand eines existenziellen Chaos übergegangen: Nasse Segeljacken, Wäscheteile auf den Salonbänken, Seestiefel und halbfeuchte Segelschuhe, die sich dem Kullern der Tomaten begeistert anschließen, nur der Brotlaib kuckt vom Obstnetz noch ruhig schaukelnd dem Treiben unter ihm zu. Liiiiiiiiiinks, reeeeeechts, liiiiiiiiiiiinks, reeeeeeeechts, liiiiiiiinks, reeeeeeeechts. Gleichzeitig das Drehen, wenn eine Welle LEVJEs Heck hart erfasst und sie plötzlich um 45, 60 Grad aus ihrem Kurs reißt, das Heck gewaltig anhebt, unter LEVJE hindurchgeht und zuletzt das Heck im Wellental zurückläßt, während der Bug sich in den Himmel richtet. Meine Welt, LEVJEs Deck, ihr Salon, die Kojen unter Deck: alles ist in einer dreidimensional wiegenden, sich vorwärts schraubenden Bewegung begriffen, in der jede eigene Bewegung nicht nur Kraftakt bedeutet, sondern aufrechter Gang zu ungelenkem Stolpern, Schlittern, zu einem schlagartigen irgendwo Halt suchen, sich festkrallen wird, weil LEVJEs Bewegung in der achterlichen Welle mal wieder unvorhersehbar war. Es ist: Eine Welt, die nur noch aus Bewegung besteht, vielleicht war ja das der wirkliche Grund, was Jules Verne seinem Kapitän Nemo als Motto für seine NAUTILUS eingab: "Mobilis in Mobili", beweglich im Beweglichen.

All dies im Dunkel, und fast ohne Sicht. Wir haben uns in Wachen eingeteilt: Sven übernahm die erste, sein Sohn Tino die zweite, bis etwa zwei Stunden nach Mitternacht, und dann von morgens um zwei bis fünf Uhr meine. Ich versuche zu schlafen, während Sven oben aufpasst. Wache gehen, das bedeutet: Aufpassen, das LEVJE auf ihrem Kurs bleibt. Aufpassen, das nicht eines der anderen Schiffe um uns im Dunkel, Frachter, Tanker, Fähren, Segler, die in der Nacht den Golf von Tarent ebenso queren wie wir, plötzlich auf Kollisionskurs mit uns gerät. Und Aufpassen, dass alles auf LEVJE weiter funktioniert: Der Autopilot seinen Dienst versieht, der Arme, der bei diesem Kurs wirklich rackert. Dass das Segel richtig steht. Während Sven also oben aufpasst, versuche ich, so schnell wie möglich einzuschlafen, ein Auge zuzumachen. Es geht nicht. Ähnlich wie der ganze andere Kram, rutsche, kullere ich bei jeder Schiffsbewegung auf meiner Matratze von Liiiiiiiinks nach Reeeeeechts und wieder zurück, begleitet von plötzlich heftigen Eintauchen auf die Matratze und wieder schwerelos Abheben, wenn die großen Wellen unter LEVJE hindurchlaufen. Als LEVJE sich in der Welle weit nach Backbord hinüberneigt, kommen mir alle meine Pullover, Hosen, Bücher aus dem rechten Teil des Schiffes entgegengeflogen, ein Schwall von Sachen, die mich unter sich begraben, noch ist meine Energie so groß, dass ich mich aufrichte. Und alles wieder an seinen Platz räume im Hin und Her. Als ich endlich einschlafe, ist Svens halbe Wache vorbei, mehr als ein Dösen, in dem mein Körper jede Welle fühlt, ist nicht drin. Es ist eine Welt, schaurig und schön zugleich. Schaurig, weil diese Welt sich all dem, was ich mit persönlichem Wohlbehagen verbinde, widerspricht und mit allen Kräften vehement widersetzt. Und schön, weil man den Elementen so unglaublich nah ist: Dem leisen Fließen der Wellen entlang an LEVJEs Bordwand, nur wenige Zentimeter von meinem Kopf entfernt. Dem Gluckern von 2.390 Meter Wassersäule unter mir mit allem Leben, das darin wohnt in einer Welt, die ich nur erahnen kann, die uns vollkommen fremd ist. Dem Wind, der LEVJE mit der Geschwindigkeit eines Marathonläufers Stunde um Stunde zuverlässig durch die Wellen treibt.

Als Tino's Wache um elf beginnt, ist es mit meinem Dösen und Träumen vorbei. Tino ist 19, viel mit Sven, seinem Vater gefahren. Aber er ist zum ersten Mal auf LEVJE, er kennt das Boot noch nicht, weiß noch nicht, wo er im Geschaukel am besten seinen Lifebelt einklinkt, wo er die Kompassbeleuchtung im Fernglas anschaltet, um die anderen Schiffe im Dunkel zu beobachten. Tatsächlich hat die Batterie im Fernglas, die in den vergangenen Tagen noch ging, ihren Geist aufgegeben, dann also die alte Methode, mit dem Peilkompass, um festzustellen, wo sich ein Frachter hin bewegt. Drei Mal stehe ich während Tino's Wache auf, beim dritten Mal ist es richtig ernst: Plötzlich nimmt das Heulen und Pfeiffen zu, LEVJE hat sich quergelegt in den Wind, die Wellen treffen sie nun breitseits, alles Schwanken ist nun infernalisch, ich springe aus meiner Koje und bin im Nu an Deck: Eben als LEVJE in der Welle auf fast zehn Knoten beschleunigte, brach die Halterung an der Pinne, in die der Autopilot greift. Von einem Moment auf den anderen sind wir ohne Ruderdruck, ohne Steuerung in den Wellen. Der Wind, der LEVJE sofort anluven ließ. Ich hatte die Schrauben im letzten August erneuert, doppelt so starke wie vorgesehen benutzt. Jetzt: ist eine fünf Millimeter starke Edelstahlschraube einfach abgebrochen. Bleistiftdicker Edelstahl hat einfach aufgegeben unter der Last von Wind und Wellen. Und nachts um zwei bleibt nun nichts anderes übrig: als von Hand zu steuern. Klaglos bringt Tino LEVJE wieder vor den Wind, starrt ins Dunkel voraus, während ich unter ihm am Boden liege, den Schaden untersuche und überlege, ob wir eine Reparatur jetzt gleich im Dunkel, unter Segel, im Geschaukel und Geschwanke vornehmen können. Aussichtslos. Jetzt im Dunkel mit Akkuschrauber rumhantieren, das gibt nur Gefummel. Also bleibt uns nichts anderes, als das Ruder wieder selbst in die Hand zu nehmen. Und LEVJE von jetzt an per Hand durch die Wellen zu steuern. Und neben dem Wachegehen nun auch noch das Schiff selber durchs Dunkel zu steuern.

Es ist halb drei Uhr am Morgen, als ich Tino unter Deck schicke. Seine Wache ist vorüber, er soll nun schlafen. Ich setze mich, bewaffnet mit Fernglas, Wasserflasche auf dem schwankenden Deck ans Steuer. Der Wind hat weiter aufgefrischt, es weht jetzt mit sechs, in Böen mehr. Wir sind jetzt mitten auf dem Golf von Tarent, aus dem es von Norden herausbläst. 

Mal sehen, was die Nacht bringt, auf dem Meer.



Die Fortsetzung? Am Sonntag. Hier auf Mare Piu...




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Donnerstag, 29. Oktober 2015

Mit MARE PIU auf die HANSEBOOT: MARE PIU verlost 15 Eintrittskartenunter seinen Lesern.


Am kommenden Samstag, den 31. Oktober beginnt die 54. HANSEBOOT. MARE PIU wird mit aktuellen Beiträgen ab kommenden Mittwoch täglich von der HANSEBOOT berichten. MILLEMARI., der Segelbuch-Verlag, ist auf der HANSEBOOT mit zahlreichen Veranstaltungen dabei: Auf der Bühne stehen zahlreiche MILLEMARI.-Autoren zu den Themen

Gewittersegeln: Susanne Guidera und die Autoren
Leben auf dem Boot: Holger Peterson
Schnell kann jeder. Mit dem Schlauchboot 500 Kilometer segelnd durch Friesland: Sebastian Janotta
Einmal München - Antalya, bitte. Mit Ausschnitten aus dem Film: Thomas Kaesbohrer
Schärensegeln: Klaus Aktoprak, mit Band!
und viele weitere.

Die aktuellen Termine aller MILLEMARI.-Veranstaltungen finden Sie rechts im Kasten sowie im Veranstaltungsprogramm der HANSEBOOT hier.

Für MARE PIU-Leser haben wir ein Kontingent Freikarten gesichert. Und verlosen 15 kostenlose Eintrittskarten für die HANSEBOOT. Wenn Sie die HANSEBOOT also kostenlos besuchen möchten: Schreiben Sie uns einfach rechts außen über das Kontaktformular. Und sie nehmen an der täglichen Verlosung teil. Solange unser Freikarten-Kontingent reicht.


Dienstag, 27. Oktober 2015

Unter Segeln von Korfu nach Sizilien, Tag 4: Santa Maria di Leuca oder: Flic. Der Hund, der Mathe kann.

Es ist eine verläßliche Größe in meinem Leben, seit ich mit 16 zum ersten Mal in diesem Land war. Und mit vor Staunen über die Schönheit weit geöffnetem Mund stunden-, tagelang durch Gassen und Märkte strich: Meine Begeisterung für Italien. Ich betrete dieses Land mit einem Lächeln und verlasse es mit einem Lächeln, irgendein selbst-hypnotischer Vorgang ist da am Werk, eine unerklärliche Ausschüttung an Glückshormonen, wenn ich durch die Schönheit dieser Sprache und dieses Landes und seiner Küche am streife. Was immer es ist: bin ich hier, verlässt mich das Staunen nie.


Unser Streifzug entlang des Lunghomare von Santa Maria di Leuca führt uns an allerhand Restaurants vorbei, die schon in den Winterschlaf gefallen sind. Tische, Stühle im Inneren aufeinandergestapelt wie von Möbelpackern, keine Neonlampe, die mehr leuchtet, kein Duft von Spaghetti Frutti di Mare, der noch durchs Restaurant zieht, kein Kellner, der an den Tisch heranwedelt und "aqua senza gas" und Wein herbeibringt. Invernale, Wintersaison. Am Strand ist nur noch der LUPO DI MARE geöffnet, das Restaurant von Giuseppe Petese. Und der empfängt seine Besucher im Restaurant mit den blauen Holzbänken über dem Meer auf vielerlei Arten. Da ist zunächst einmal das Schild am Lunghomare neben dem Eingang. Mit Kreide steht da in großen Buchstaben am Restauranteingang "Fida ti": "Trau Dich." Muss ich mir Sorgen machen?
Dann ist da - zwischen allerhand anderen Raritäten - ein überlebensgroßes Poster an der Wand. Der Hausherr im Smoking, überlebensgroß - und offensichtlich übriggeblieben vom Auftritt in einer Fernseh-Show. Dann eine Tafel mit Rechenaufgaben, mitten im Restaurant. Hoffentlich muss ich jetzt nicht öffentlich Kopfrechnen, bevor ich was zu essen bekomme.


Aber das mit dem Essen klappt untadelig. Als wir mit den Antipasti mare, den Spaghetti mit Meeresfrüchten und dem frischen Schwertfisch endlich fertig sind, macht uns der Hausherr mit seinem Hund "Flic" bekannt. Giuseppe hat nämlich Flic das Rechnen beigebracht. Und dafür braucht er die Tafel. Flic, der Hund sitzt brav davor. Giuseppe deutet auf die erste Rechenaufgabe: 


2 x 2 + 2 = ? 

Flic kuckt auf sein Herrchen. Dann auf das Leckerli. Dann auf mich. Dann schüttelt er sich, als wolle er all die imaginären Flöhe aus seinem Fell loswerden, blickt treu auf Giuseppe und - bellt. Sechs mal. 

Sapperlott!

2 x 3 + 1 = ?

Das dauert dann schon etwas länger. Irgendwie scheint der Hund im Gegensatz zu Giuseppe zu denken, das man das Leckerli doch auch leichter rüberreichen könne als über die umständliche Rechnerei. Giuseppe lockt und gurrt und balzt, Flic schüttelt sich über all die Kompliziertheit, die menschliches Tun und Denken in die Welt gebracht hat und: bellt schließlich sieben Mal. Bravo!

2 x 5 - 1 : 3 = ?

Jetzt wird es richtig kompliziert. Wer weiß denn von uns noch, wie das war mit "Punkt vor Strich"? Oder müßte da nicht richtigerweise eine Klammer auf der Tafel stehen? Flic ist das alles einerlei, schielt einfach auf das Leckerli und - bellt zwei Mal. "Bravo" ruft Giuseppe, während wir noch mal kritisch nachrechnen und auf ganz andere Ergebnisse kommen. Egal!


Aber während Giuseppe mit wachsender Begeisterung sich nun der vierten Aufgabe auf der Tafel zuwendet und uns von DOLLARO erzählt, dem Hund, mit dem er samt Rechenkünsten im italienischen Fernsehen auftrat, hören wir es draußen weit im Westen über dem Golf von Tarent zum dritten Mal donnern. Schluß mit lustig! Wir spurten im einsetzenden Gewitterregen den Lungomare hinunter, zurück zu LEVJE, auf der alles sperrangelweit offen steht und die wir gerade noch erreichen, bevor der große Regen einsetzt. Es wird merklich kühler, das schlechte Wetter ist da. Und mit ihm der Nordost, der uns ab heute Abend mit 5-6 Windstärken in zwei Tagen übers Meer wehen soll: Auf direktem Weg nach Sizilien. Nach Catania!



Soeben erschienen vom Autor von Mare Piu: 
Ein Film darüber: Was Segeln ist.


                         Als Download und auf DVD: € 19,99

Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.



Der Film entstand nach diesem Buch: 
Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen 
und die Kunst, wieder sehen zu lernen
Einmal München - Antalya, bitte. 

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Samstag, 24. Oktober 2015

Unter Segeln von Korfu nach Sizilien, Tag 3: Ganz ganz unten. AmStiefelabsatz von Italien, in Santa Maria di Leuca.


Beginnen wir bei ganz einfachen Dingen, zum Beispiel beim Blau des Meeres. An diesem Morgen nach dem langen Nachtschlag von Korfu bis hierher, den ich im vorigen Post beschrieb, sind wir unterwegs auf dem menschenleeren Lunghomare, dem Spazierweg von Santa Leuca entlang des Meeres. Ganz links: das Meer. Und während ich jetzt hinausschaue, kann ich nicht anders als festzustellen: Dies eigentümliche Glitzern auf dem Meer: das gibt es so doch nur an einem Ort: das kann doch eigentlich nur in Italien sein. 

Natürlich stimmt das nicht, denn Meeresglitzern ist ja nun überall gleich, egal ob Ägäis oder Atlantik, ob Poros oder Puerto Rico: Meer ist schließlich Meer, und Glitzern ist Glitzern. Und doch: Hätte mir jemand an diesem Morgen nach der langen Überfahrt eine Augenbinde abgenommen und mir das obige Foto gezeigt: Ich hätte ganz sicher auf Italien getippt. 

Am Strand, im Wasser unter dem Lunghomare tummeln sich nur eine Handvoll Unentwegter, nicht mehr, obwohl es doch in dieser Jahreszeit am schönsten ist, am Meer zu sein. Die Lufttemperatur ist bei 21 Grad, das Meer bei 23 Grad, es ist also drinnen im Wasser wärmer als draußen, das konnten wir an diesem Morgen deutlich spüren, als wir uns noch vor dem Einlaufen in den Hafen ins Wasser stürzten. Und doch ist Santa Maria die Leuca herrlich verwaist an diesem Morgen. Im Supermarkt erklärt man uns, dass man heute für ein halbes Jahr schließen würde, die leeren Regale werden gescheuert, kaum, dass man dort noch etwas kaufen kann. Santa Maria lebt im und lebt vom Sommer, wie die meisten Orte am Meer, das ist das eine.


Das andere: Dass dieser Ort offensichtlich eine lange Tradition als Sommerfrische, als Ferienort hat. Denn auf der anderen Seite des Lunghomare reihen sich Ferienvillen und Sommer-Residenzen der anderen Art aneinander. In irgendeiner Phase seiner langen Existenz scheint eine merkwürdige Bauwut in Santa Maria gewütet zu haben. Nein, nicht der Stil des italienischen Futurismo, den ich so sehr liebe, die modernistische italienische Spielart des Bauhaus, sondern hier in Santa Maria di Leuca ein architektonischer Stil-Mischmasch, ein wildes Deklamieren und Zitieren von Baustilen allen Epochen und aller Länder. Als da wären: 

Ein klein wenig orientalisch-muselmanisch unter duftenden KIefern (siehe oben).
Ein klein wenig maurisch:



Ein klein wenig US-amerikanisches White House, ohne Oval Office:


Und dann:


Ein klein wenig von Allem mit rosa Streifen drauf und getoppt von einem Leuchtturm, den der heutige Besitzer nachts von innen mit roter Laterne erhellt. Ein rotes Licht, das in die heranbrechende Nacht über Santa Maria di Leuca leuchtet und mich an die alte Warnung an die Seefahrer denken lässt, auf dem Meer und in Hafenvierteln wachsam zu sein: 

"Nicht immer hält das rote Licht, 
was es dem Fahrensmann verspricht." 

Dazu noch die schönen Ochsenaugen im linken und rechten Flügel mit bemerkenswert schön gearbeiteten Fensterläden behängt.

Und weiter findet man:
Ein klein wenig Neugotik (hab ich mir verkniffen, zu fotografieren).
Ein klein wenig Neuromantik (hab ich mir auch verkniffen).
Ein klein wenig Neu-Renaissance.

Alles sieht so aus, als hätten irgendwo zwischen Gründerzeit und erstem Weltkrieg die wohlhabenden Sommerfrischler aus dem nördlichen gelegenen Lecce dazu verführt, genau hier ihrer Lust am Märchenhaften zu frönen und sich in einzigartigen Villenbauten auszutoben, ein Disneyland der Baustile, das sich fröhlich dem Betrachter darbietet. Santa Maria di Leuca, von dem die Legende erzählt, dass hier der Ort war, an dem früher Sirenen von den Klippen herunter die Seefahrer in die Irre gesungen hätten, verwirrt die Sinne heutiger Reisender mit einem herrlich bunten Allerlei alter Sommerresidenzen, von denen die meisten nur darauf warten, aus ihrem Halbschlaf wachgeküsst zu werden. In den leeren Gärten und kleinen verfallenden Parks vor den Gebäuden niemand, niemand, außer einem humpelnden alten Gärtner, der vor dem WHITE HOUSE dürre Planzen begießt. Die Villen von Santa Maria di Leuca: Sie werden aufgenommen in die lange Liste meiner ungeschriebenen Bücher.


Als die Sonne im Meer versinkt, wandern wir schnell hinauf zum Leuchtturm auf der Sirenenklippe. Und erleben dort oben, genau unter dem Halbmond, im Dämmer genau den Moment, in dem der Leuchtturm seine Arbeit beginnt: Sein Licht in der Dämmerung über der stillen Piazza plötzlich anspringt und sich mit langsamer, unendlich langsamer Bewegung drei Linsen um das Licht zu drehen beginnen, drei geschliffene riesige Glaslinsen, die in der Nacht um das Licht herum kreisen, unentwegt und mit langsamer, gleichmäßiger Bewegung. Und den Schiffen bis 50 Kilometer weit draußen, die halbe Strecke nach Korfu hinüber den Weg weisen mit einem einfachen Lichtsignal, das auch uns bis hierher geführt hat.










Dienstag, 20. Oktober 2015

Unter Segeln von Korfu nach Sizilien, Tag 2: Durch die Nacht. Von Korfunach Italien.

In dieser Artikelreihe beschreibe ich meine Reise von Griechenland in diesem Herbst nach Sizilien. Am Nachmittag brachen wir von Kerkyra, der Hauptstadt Korfus, auf und segelten um die Nordspitze. 
Der Leuchtturm von Santa Maria di Leuca taucht in dieser Geschichte des öfteren auf. Die Aufnahme unten entstand nach unserer Ankunft im Hafen von Santa Maria di Leuca. Wo der Leuchtturm eben wieder seine Arbeit aufnahm und sein Licht in die Nacht sendet.



Es ist morgens, halb vier. Sven weckt mich. Ich halte meine Uhr mit den Leuchtziffern vor die Augen. LEVJEs Diesel vibriert und brummelt monoton. Es gluckert und gluckst entlang der Bordwand, und es ist stockdunkel. In einer halben Stunde ist Svens Wache vorüber, die er um ein Uhr übernommen hatte. Es ist dunkel, ringsum. 

Schwach leuchtet die Lampe über dem Kartentisch, kaum, dass sie die Seekarte darunter erhellt, den Übersegler, nennen Segler die Karte. Übersegler: Eine Seekarte im großen Maßstab, die man nur auf langen Überfahrten und nicht für die Detailarbeit des Küsten- und Inselsegelns benutzt. Auf dem Übersegler im Dämmer, den ich vorher ordentlich gefaltet habe auf den Ausschnitt, den wir heute Nacht benötigen, ist rechts die Insel Korfu eingezeichnet, in gelb. Ein langer Sporn von Nord nach Süd, wie eine Stechahle geformt, oben mit breitem Griff. Ganz links, ebenfalls in gelb: Der Absatz des Stiefels, Italien. Am äußersten rechten Ende des Stiefelabsatzes: Santa Maria di Leuca, da, wo wir hin wollen nach einer Überfahrt durch die Nacht. Und das Bild meines Vaters.

Langsam ziehe ich mich an. Es ist Oktober, doch immer noch warm draußen, auch früh am Morgen. Die Tage vorher hatte es Südwind gehabt auf Korfu. Südwind: Anders als nördlich der Alpen ist im Mittelmeer er es, der den Regen bringt. Der Regenwind. Er weht warm übers Meer und bringt den Regen mit sich. Das Pflaster war naß in Kerkyra, der Hauptstadt Korfus, es war warm und naß, ein schwüles Klima, das typisch ist für den Regenwind. Regenwind bei uns: Der Nordwest, der naßkaltes Regenwetter aus dem Nordatlantik bringt. Regenwind im Mittelmeer: Der Scirocco und seine Brüder, der Libeccio, der Jugo und andere. Sie alle wehen warm aus Süden: Verlassen die Sahara als heißer, trockener Wind, der sich wie ein steinhart ausgetrockneter Schwamm über dem Meer vollsaugt, bis er voll genug ist, um sich über den Nordküsten des Mittelmeers auszuwringen, gewaltige Wassermengen abzugeben. Und gleichzeitig das Meer die ganze Adria hinaufzupressen, dorthin, wo die Mauer aus Bergen steht. Solange drückt der Südwind Meerwasser die Adria hinauf, bis Venedig ganz im Norden unter Wasser steht und die Menschen den Markusplatz nur noch auf Passerellen in Gummistiefeln überqueren können. So ist er, der Südwind.

Ich koche mir in der Dunkelheit einen Kaffee. LEVJE liegt leicht schräg, kaum Wind. Zum Licht über dem Kartentisch und dem des gelben Lampions, den wir als Salonlicht benutzen, gesellt sich nun das Blau der Gasflamme, die unter der kleinen Caffetierra zischt. Eine kornblumenblaue Flamme in der Dunkelheit. Ich höre den Dieselmotor in der Dunkelheit, mit seinen Hunderten Geräuschen. Dem ruckelnden Blubbern, das aus seinem Herzen:  Von der Kolbenbewegung kommt. Dem Ruckeln, das Schott und Innenwände, ja sogar die Bordwände vibrieren läßt und sich durchs ganze Boot hinzieht. Die hölzerne Abdeckung mit den Treppenstufen, die noch vor der Bordwand mitschwingt. Das Kühlwasser, das durch den Wassersammler plätschernd spült, auf dem Weg nach draußen. Im Dunkel ein Kreisen, ein Schwingen, Vibrieren, Schieben, bullern, begleitet vom Plätschern des Meerwassers, das draußen an der Bordwand entlangläuft. Die Bordwand, keinen Zentimeter stark, die alles abhält.

Mein Kaffee ist fertig. Ich gieße mir heiße Milch dazu in die Schale. Dann schlüpfe ich in die Schwimmweste, klinke den Lifebelt ein, und balanciere meine Schale mit heißem Kaffee nach oben, ins Cockpit. Sven steht und beobachtet konzentriert den Horizont. Kein Land in Sicht, ringsum nur gllattes Wasser, durch das sich LEVJE fast unbewegt durchschiebt. Links vorne die Lichter eines Frachters. Links hinter uns ebenfalls. Rechts hinter uns auch. Und der rechts vor uns ist schon relativ nah. Deutlich sehe ich die beiden Lichter, die uns mitteilen, dass Schiff da draußen in der Dunkelheit über 100 Meter lang ist. "Auf Kollisionskurs", sagt Sven. Kollisionskurs: Das bedeutet: Wenn weder der Frachter noch wir unsere Richtung ändern, dann werden wir in voraussichtlich 20 Minuten zusammenstoßen. Geben wir auf unserem Autopiloten auch nur mit einem Tastendruck eine kleine Kursänderung ein, dann ist die Kollisionsgefahr sofort gebannt. Also laufen wir jetzt erstmal so weiter. Sven gähnt, weist mich noch kurz in Wind und Segelstellung ein. Ein schwacher Nord, obwohl alle Wetterberichte weiterhin Südwind ankündigten. Sven schaut noch einmal zum Frachter nach rechts, dann kommt noch ein "Gute Nacht", und fort ist er, nach unten, um sich in meine Koje zum Schlafen zu legen. Tino, 19, Svens Sohn, hatte die erste Wache, er schläft jetzt in Svens Koje.

Ich beobachte kurz die Instrumente. Der Tiefenmesser: Er zeigt nichts mehr an. Kein Wunder, wir sind hier auf über 1.000 Meter Wassertiefe, zwischen Korfu und dem italienischen Festlandsockel im Süden fällt das Meer steil ab. Die Logge zeigt fünf Knoten an, das ist gut und so wie wir geplant hatten. Wir haben Vollzeug gesetzt, aber es sind nur zwei Knoten, zu wenig, um LEVJE übers Meer zu schieben. Also läuft der Diesel, und der der Wind sorgt für einen halben Knoten Geschwindigkeit mehr. Wir bewegen uns mit der Geschwindigkeit eines Marathon-Läufers übers Meer, das ist nicht schnell. Aber wenn man 24 Stunden wie ein Marathonläufer rennt, dann kommt man auch locker in 24 Stunden von München nach Stuttgart, das ist, wie Segeln funktioniert. Es braucht Zeit. Und ein wenig Wind.

Ich schaue mich um. Der schwache Nord kräuselt leicht das Wasser. Er hat den Himmel befreit vom schlierigen Dunst des Südwinds, blankgeputzt, ein Sternenhimmel in seltener Klarheit, die Sterne leuchten über mir, gebettet in nachtblauen Samt. Großer Bär und Polarstern, Kleiner Bär und Kassiopeia, die Milchstraße ein leuchtendes Band von Süd nach Nord, nach Hause. Vor mir in der Dunkelheit: LEVJEs rotgrünes Buglicht. Und davor, weit weit vor uns, hinter der Kimm gelegentlich zweimal aufblitzend, ein heller Lichtschein: Der Leuchtturm von Santa Maria di Leuca. Ich kenne es von früheren Segelreisen. Es steht ganz oben auf dem Berg, auf den wir schon öfter wanderten, wenn der Wind uns tagelang festhielt im Hafen. Das Leuchtfeuer von Santa Maria: jetzt unser Ziel, der schwache Lichtschein hinter der Kimm. Blink-Blink-Blink. Dann wieder Dunkel.

Der Frachter rechts vorne ist etwas nähergekommen, anscheinend läuft er nicht schnell. Eindeutig ist er auf Kollisionskurs. Aber wahrscheinlich wird er knapp vor uns queren. Wenn ich jetzt meinen Kurs ändere und auch der Mann auf der Brücke wachsam ist, uns gesehen hat und ebenfalls seinen Kurs ändert, haben wir den Salat. Und sind wieder auf Kollisionskurs. Also bleibe ich erstmal, wo ich bin. Lasse LEVJE laufen, wie sie läuft. Und beobachte weiter.

Noch fünfeinhalb Stunden. Die ersten Lichter der Küste tauchen rechts vor mir auf, Häuser, Siedlungen, Straßen. Die italienische Küste. Hinter mir, ganz im Osten, foppt mich wieder einmal der Sirius, der Hundsstern. ist der hellste Stern am Nachthimmel, eben erschien er genau hinter uns über der Kimm. Er ist der hellste Stern am Firmamment überhaupt, sein helles Licht sieht aus wie das Mastlicht eines Seglers, das schnell am Himmel höhersteigt, fast so wie das Licht eines Schiffes, das uns in rascher Fahrt verfolgt.  Aber das kenne ich schon. Ein Stern, hell wie ein Mastlicht: der Sirius.

Der Frachter rechts ist noch nähergekommen. Weit liegen nun seine beiden Mastlichter auseinander. Deutlich sehe ich nun auch sein rotes Licht, das seine Backbordseite markiert. Er ist uns noch näher gekommen. Aber gleichzeitig auch etwas näher in der Peilung zum Bug gewandert. Er wird also vor uns queren, knapp, aber es wird reichen, und ich lasse LEVJE weiter ihren Kurs laufen. Und schaue mich weiter um.

Das Wasser vor uns ist glatt wie eine gespannte Folie. In dieser Nacht erinnert es mich an die Augsburger Puppenkiste und Michael Ende's Jim Knopf: In der Augsburger Puppenkiste war das Meer immer eine Folie, die um Lummerland herumwaberte, eine dünne, leichtbewegte Folie. Und so ist das Meer auch in dieser Nacht. LEVJEs Bug drückt sachte diese Folie auseinander, wirft eine leichte Bugwelle auf, und: Kaum dass sie entstanden ist, leuchten Hunderte kleine Sterne in der Welle. Leuchtalgen, Plankton. Wenn man sie bewegt, die kleinen Lebenwesen, aufstört in ihrer treibenden Ruhe, dann leuchten sie in der Nacht. LEVJE, die durch das Leuchten gleitet, unter der nachtschwarzen Samtdecke mit den Abermillionen Lichtern, verfolgt vom strahlenden Sirius, der nun eine helle Straße über das Wasser genau auf uns zu malt hin malt, und angezogen vom Blink-Blink-Blink des italienischen Leuchtturms vor uns.

Der Frachter: er geht nun vor uns durch, er verdeckt kurz den Leuchtturm, dessen Licht nun über die Kimm gestiegen ist und scharf das Dunkel zerteilt. Drei Lichtfinger, die sich in die Nacht recken über mir, ausgesendet fast 50 Kilometer entfernt von einem Leuchtturm auf einer Anhöhe. Noch vier Stunden. Das Meer: Tiefer Frieden in dieser Nacht.

Es ist sieben Uhr Morgens. Nicht mehr lang, und ich werde Tino wecken. Vor uns: noch dunkel. Hinter uns, dort, wo der Sirius nun hoch am Himmel steht, färbt sich der Himmel mit einem Mal in Tönen zwischen hellblau und orange. Konturen von Wolken davor, das Licht eines Sterns, das schwächer wird, vom hellblau verschluckt, vom Morgenlicht aufgesogen. Der nachtschwarze Samt vor uns, der sich langsam in Grau wandelt, aus dem der Leuchtturm auf dem italienischen Festland sein Lichtsignal morst. Und links davor zu seinen Füßen, gut erkennbar: Die Lichter einer italienischen Stadt.

Tino ist an Deck und hantiert sofort mit seiner Kamera ob der Schönheit dieses Morgens auf dem Meer.
Meine Wache ist vorüber. Und ich lege mich schlafen.
Die Nacht auf dem spiegelglatten Meer: Ein Traum.





Von Korfu nach Sizilien: Begleiten Sie LEVJE auf dieser Reise im Herbst von Griechenland nach Sizilien.
In meinem nächsten Post werde ich über unsere Ankunft in Santa Maria di Leuca schreiben. 
Bis Dienstag Abend soll es windstill bleiben, doch in der Nacht auf Mittwoch wird der Wind an der italienischen Südküste zulegen auf 6 Windstärken. 
Lesen Sie also weiter, wie es LEVJE und ihrer Crew erging.

Unter Segeln von Korfu nach Sizilien: Frankfurt am Main und Korfu am Meer. Zwei Welten im Oktober?

Dies ist der erste Post einer Reihe von Artikeln 
über meine Reise auf LEVJE jetzt im Oktober von Korfu nach Sizilien.



In den letzten Tagen dachte ich viel über eine Frage nach, die mir Bine, Leserin meines Blogs, vor ein paar Tagen mailte: Wie es mir denn erginge, mit den vielen Welten, zwischen denen ich immer unterwegs wäre? Zwischen der Buchmesse in Frankfurt und Korfu: Ob ich gelegentlich Zeit bräuchte, mich zu sortieren? Oder ob ich immer "bei mir wäre" und sofort in jeder meiner Welten zuhause?

Natürlich ist letzteres der Fall, aber warum das so ist: Das ist eine interessante Frage, die doch an die "Wie-will-ich-eigentlich-leben?"- und "Was-ist-eigentlich-wichtig-im-Leben?"-Frage heranführt. Augenscheinlich sind Frankfurt und Korfu ja zwei ganz unterschiedliche Dinge. Frankfurt, die Messe: Es war schon gut, wieder in diese Welt einzutauchen, ich liebte sie immer. Die Buchmesse war immer irgendwie mein Ort, seit ich zu ihr zum ersten Mal 1987 in einem kleinen roten Golf anreiste. Sie war immer irgendwie ein Ort, an dem ich geistig zu Hause bin. Ich mochte die Büchermenschen, die sich da herumtreiben, ich mochte das Baden in den Myriaden von Ideen, die da in zwei Buchdeckel gepackt an den Ständen herumstanden, und es war mir eins, ob es gute oder schlechte Ideen waren. Ich möchte die langen Tage und die langen Nächte voller Diskussionen mit den Menschen dort, und es war fast egal, worüber wir diskutierten: Die Gespräche, die Ehrlichkeit: sie brachten mich imer weiter. Und sie trugen mich. Ich empfand diesen Ort als einen Ort der Freiheit, dort konnte ja jeder auswählen aus den Ideen, was immer er wollte. Vielleicht hat mein pauschales Wohlgefallen an den Gesprächen, an den Menschen dieser Branche, so unbedeutend sie sein mag, einfach damit zu tun, dass eben diese Gesichter auf der Messe für diese ungeheure Freiheit und Weite im Kopf standen. Und auch wenn ich heute, nach fast 30 Jahren Verlag eigentlich mich satt- und müde-diskutiert haben sollte an dem allem: So habe ich mit Freude festgestellt, dass sie mich immer noch "trägt", die Buchmesse, und mein alter Spruch für mich immer noch wahr ist: "Zur Buchmesse nach Frankfurt würde ich sogar auf allen Vieren kriechen, wenn kein Zug führe."


Einen Tag später zurück in Korfu, wo LEVJE zu Füßen des alten Leuchtturms unter der Festung in Port Mandraki friedlich schaukelt. Wo es in Frankfurt schrecklich kalt und naß war - zum ersten Mal in diesem Jahr fror ich, auf dem Weg zwischen den Hallen - und das Klima unwirtlich war, ist es in Korfu schwül und warm. Der Südwind, über den ich in meinem nächsten Post schreiben werde, brachte Regen mit sich. Das Pflaster ist feucht in der Stadt am Meer, der große Berg im Norden, der alles überragende Pantokrator, "der Erlöser", hat sein Haupt in wolkigen Dampf gehüllt, und nur am Abend reißt der Himmel kurz auf, um den Blick freizugeben oben vom Leuchtturm auf die Fetzen von Wolken am Festland.

Am nächsten Morgen streife ich durch die stille Stadt. Sie ist - anders als im Sommer - leer am frühen Morgen, so wie Frankfurt leer war am Abend in der Regenkälte. Nur im Kaffeneion sitzen die Alten, und diskutieren lebhaft.


Ich setze mich zu Ihnen, um herauszufinden, worüber. Aber so sehr ich mich auch anstrenge, mein weniges Griechisch, ihre Gesten reichen nicht aus, um herauszubekommen, worum es eigentlich an diesem Vormittag geht. Um die letzten Fußball-Ergebnisse, und dass Panathinaikos Athen den aus dem nahegelegenen Ioanina stammenden Fußballverein mit 3:1 abgewatscht hat?


Um den neueste Volte von Herrn Tsipras im griechischen Parlament? Gar über die FIFA? Das verlohnt die Spucke nicht! Oder um die Frau des Flickschusters, die nun schon zum x-ten Mal ihrem Mann die Hörner aufsetzt und ein Verhältnis hat ("Die sollte mir mal nach Hause kommen!"), nur leider, leider mit keinem von ihnen? Trotz aller Aufmerksamkeit komme ich nicht dahinter, was die Herren so erregt und ihnen den Vormittag wie im Flug vergehen läßt. Grieche müsste man sein. Und in der Lage, im Kaffeneion in der Schwüle zu sitzen und dem Vormittag beim Vorübergehen zuzusehen statt im regenkalten Frankfurt oder München auf einen Computerbildschirm zu starren.

Da ist sie wieder, die Frage: "Wie wollen wir eigentlich leben?" Da hat mich die dann die diesjährige Frankfurter Buchmesse denn auch eindeutig weitergebracht. BEIDE Welten. Denn beide Welten tragen mich: Das Gespräch, die Diskussionen, die Köpfe in Frankfurt. Und ein Vormittag in der Wärme der Gassen Kerkyras, in einem Kaffeneion gleich hinter dem großen Crickett-Feld vor der Festung, irgendwo zwischen erregt diskutierenden Alten. Beide Welten tragen mich - das ist die Antwort.

Und während ich noch im Kaffeneion sitze, den Alten lausche und über die Buchmesse nachsinne und warum alles, alles genau so richtig ist, wie es ist; während in meinem Kopf noch die Frage hallt "Wie wollen wir eigentlich leben?" nähert sich durch die Gasse die Besitzerin des gegenüberliegenden Ladens. Sie ist um die Mitte sechzig, fein gekleidet, die Schuhe geschmackvoll ausgewählt und  zum Rest passend, ich schaue einem Menschen immer erst auf die Schuhe, um zu wissen, was er für einer ist. Die alte Dame atmet schwer in der Schwüle, sie nähert sich mit kleinen Schritten, zerrt umständlich den Schlüsselbund aus ihrer Handtasche, die farblich zum Rest passt und schließt ihren Laden auf. Sie verschwindet in den Tiefen ihres Ladens, schwer atmend, so wie sie kam. Das Licht geht an im Laden, schwer atmend kommt sie aus dem Hintergrund ihres Ladens und trägt einen schweren Gegenstand langsam zur Tür. Der schwere Gegenstand ist ein Holzschild, das sie mühsam vor die Tür trägt und dort sorgsam neben der Tür, genau unter der alten Standuhr, aufstellt. 

Auf dem Schild steht:


Nein, das Leben, es versorgt uns schon mit den richtigen Antworten. 
Nur hinhören. Und nach diesen Antworten handeln: das müssen wir selber.


Unter Segeln von Korfu nach Sizilien: Im morgigen Post: In der Nacht von Griechenland nach Italien. Von Korfu nach Santa Maria di Leuca.


Soeben erschienen vom Autor von Mare Piu: 
Ein Film darüber: Was Segeln ist.


                         Als Download und auf DVD: € 19,99

Was passiert, wenn das Leben die gewohnten Bahnen verlässt? 
Was geschieht, wenn man sich einfach aufmacht und fünf Monate Segeln geht? 
Darf man das? Und wie ändert sich das Leben?
Der Film einer ungewöhnlichen Reise, der Mut macht, seinen Traum zu leben.



Der Film entstand nach diesem Buch: 
Geschichten über die Entschleunigung, übers langsam Reisen 
und die Kunst, wieder sehen zu lernen
Einmal München - Antalya, bitte. 

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Donnerstag, 15. Oktober 2015

Auf der FRANKFURTER BUCHMESSE, im Meer der Bücher. Tag 2. Tag und Nacht.

Über die Frankfurter Buchmesse sagte der Schriftsteller Julian Barnes einmal:

"Frankfurt Taxidrivers are said to dislike the Frankfurt Bookfair.
Instead of being shuttled to prostitutes like members of other respectable shows
the Frankfurt Bookfair people prefer to stay in their hotel and fuck one another."

Das war, als die Frankfurter Buchmesse ihre besten Jahre gerade hinter sich hatte, in den späten 80er Jahren. Julian Barnes war damals jung, ich auch, und alles funktionierte noch bestens. Oder doch nicht? Die ersten Großverleger hatten spektakuläre Pleiten hingelegt (Molden), Marketing hatte Einzug gehalten (in manchen Verlagen heute noch nicht), und die Messe: sie war ein großer Spaß - aber das ist sie heute auch noch.


Beginnen wir unseren heutigen Messetag dort, wo das Herz der Messe schlug: bei den Agenten. Denn das meiste, was heute in Buchhandlungen an Literatur auf den Tischen unserer Buchhandlungen landet, kommt aus dem Ausland. Und wird nicht von Autoren direkt nach Deutschland exportiert. Sondern dafür gibt es: die Agenten. Die sitzen in einer kleinen Halle an kleinen Tischen, nichts vor sich ausser ein paar Listen und einem Becher Wasser, und empfangen im Halbstunden-Takt Verlagsleute, die wissen wollen: was die Agenten denn an neuer, unentdeckter bahnbrechender und bestsellerfähiger Literatur im Koffer haben. Auch wir von millemari. sind auf der Jagd nach dem Bestseller, besuchen Agenten, lassen uns dies und das zeigen. Aber die Jagd nach Bestsellern findet seit vielen Jahren ganzjährig statt - und die Frankfurter Buchmesse brauchts dafür kaum noch. Trotzdem: Businessmodelle - auch wenn sie in die Jahre gekommen sind - haben nun mal gewisse Beharrungskräfte. Das sollte man auch beim rückläufigen Buchgeschäft niemals außer Acht lassen.

Danach: ab in die Halle 8, die heuer in Halle 6 gepfercht wurde: Die Halle der Auslandsverlage. Sie war immer mein heimlicher Liebling, eine Messehalle, die mir immer wie das Abbild eines idealen Ortes erschien. Hier saßen die Auslandsverlage seit' an seit' und Nationen in merkwürdiger, seltener Eintracht: Inder verhandelten da mit Pakistanis, Russen mit Amerikanern, Amerikanern mit Arabern, Israelis mit allen. Was in der wirklichen Welt niemals stattfinden konnte: hier fand es statt, Buch vereinte sie alle, der Handel mit Buch und Buchrechten vereinte sie alle. Heute sind die internationalen Verlage auch noch da, angeführt von den großen amerikanischen Häusern. Für einen kleinen Verlag wie millemari. ist es wahnsinnig schwierig, bei den amerikanischen Verlagen einen Termin zu bekommen. Obwohl Susanne die Leute alle sehr gut kennt, ist es ihr nicht gelungen, bei den Verlagen, die uns interessieren, vorher Termine zu bekommen. "Fully booked out", hieß es vorher, "keine Termine mehr". Und obwohl an den Ständen wenig los ist und mancherorts die Damen gelangweilt am Stand sitzen: Bekommen wir auch vor Ort keine Termine. Man gibt sich blasiert. Empfangen wird, wer Namen hat - und das hat millemari. nun einmal nicht.

Trotzdem: hier ist neben der Halle der Agenten das zweite Zentrum: Was an Literatur in Deutschland auf die Büchertische kommt, kommt überwiegend aus USA, aus England, aus Skandinavien. Die aktuelle SPIEGEL-Bestsellerliste ist ein "Who-is-who" ausländischer Verlage. Und hier sind wir an der Quelle, dort, wo das alles herkommt. Die Zeit, in der ein deutschsprachige Autoren MIT FUG UND RECHT Furore machten, ist lang vorbei und der Literatur-Nobelpreis landet heute eher versehentlich im deutschsprachigen Raum, wenn er sich in der Zimmertür irrt und bei Elfriede Jellinek anklopft. Aber: auch hier schwächelt die Messe. Aus der großen, leuchtenden Halle 8 wurden die großen Verlage nun in die Halle 6 auf zwei Etagen gepfercht, an einem Vormittag sind wir nun durch, wofür wir zwei Tage eingeplant hatten, eben die großen amerikanischen Verlage abzuklappern. Als wir nach McGRAW-HILL, der einige schöne Segelbücher im Programm hat, heißt es gar: "Kurzfristig Teilnahme abgesagt" -  einer der größten US-Verlage, der für die angemeldeten 30 Leute kurzfristig entschied: Wir kommen nicht mehr nach Frankfurt. Schwund, an den sich Messe und Verlage längst gewöhnt haben.

Der Abend. Ich streife durch die Hallen, schaue mir Bücher an. Baden konnte ich in diesem Meer der Bücher schon immer. Ich freue mich über wunderschöne Cover, delektiere mich an buchverlagstechnischen Großtaten ebenso wie Schwachsinn gleichermaßen. Wenn er denn gut gemacht ist. Ich sammle Ideen. Treffe Andreas, der mich unter den Arm klemmt und mich mitnimmt auf eine der großen Messe-Veranstaltungen, die RANDOM-HOUSE-Party in Bockenheim. Er hat eine Eintrittskarte und schleust mich in die Veranstaltung, indem er mich als seinen Lebensgefährten ausgibt. Verheiratet sind wir zwar, aber eben nicht miteinander, aber "drin-ist-drin", und da ist nun ein weiteres Herz dieser Messe: der große abendliche Branchentreff. Hier sind sie alle: Der große THALIA-Einkäufer mit der Streifenkrawatte, an dessen unergründlichem Lächeln ich mir die Zähne ausbiss, vor Jahren, weil er meine Produkte nicht wollte. Wir grüßen uns freundlich. Die Dame im hellblauen Kleid, die mich anspricht und mit der ich mich nett unterhalte. Ich kenne sie, wir wurden uns vor vielen Jahren vorgestellt, wie heißt sie bloß? Bei ihr gelingt mir das seltene Kunststück, sie nach zehn Minuten zu fragen: "Für welchen Verlag arbeiten Sie?" Die dann nonchalont und wie ein Mann das niemals könnte, sagt: "Ich bin Geschäftsführerin Vertrieb und Marketing bei RANDOM HOUSE." Ich stehe der Gastgeberin der vielen hundert Menschen am heutigen Abend gegenüber. Und fühle mich wie ein Idiot. Was sich die Dame im hellblauen Kleid aber nicht anmerken lässt. Und dafür werde ich sie immer verehren, für den Rest ihres Lebens.

So geht der Abend dahin. Ich lerne den Mann kennen, der die SZ-Bibliothek erfunden und gemacht hat. Und wir unterhalten uns nachsinnend über die Kunst langsam zu reisen. Über die Bücher. Und was das Leben für uns bereithält, wenn die wilden Jahre vorüber sind. Solange palavern wir an der Bar: Bis die Musik auf "Disco" umschaltet und so laut wird, dass der Mann, der die SZ-Bibliothek erfand und ich beschließen, dies unseren Ohren nicht anzutun. Und den Ort verlassen.

Ach. Wenn doch nur immer Buchmesse wäre!



                           Am kommenden Samstag führt mich meine Reise von der Buchmesse zurück aufs   
                          Meer. Und kommende Woche schreibe ich hier auf MARE PIU über:
                          Unter Segeln: Unterwegs im Oktober von Korfu nach Sizilien. 
                          "Stay tuned!"


  


Mittwoch, 14. Oktober 2015

Auf der FRANKFURTER BUCHMESSE, im Meer der Bücher. Tag 2. Tag und Nacht.

Über die Frankfurter Buchmesse sagte der Schriftsteller Julian Barnes einmal:

"Frankfurt Taxidrivers are said to dislike the Frankfurt Bookfair.
Instead of being shuttled to prostitutes like members of other respectable shows
the Frankfurt Bookfair people prefer to stay in their hotel and fuck one another."

Das war, als die Frankfurter Buchmesse ihre besten Jahre gerade hinter sich hatte, in den späten 80er Jahren. Julian Barnes war damals jung, ich auch, und alles funktionierte noch bestens. Oder doch nicht? Die ersten Großverleger hatten spektakuläre Pleiten hingelegt (Molden), Marketing hatte Einzug gehalten (in manchen Verlagen heute noch nicht), und die Messe: sie war ein großer Spaß - aber das ist sie heute auch noch.

Beginnen wir unseren heutigen Messetag dort, wo das Herz der Messe schlug: bei den Agenten. Denn das meiste, was heute in Buchhandlungen an Literatur auf den Tischen unserer Buchhandlungen landet, kommt aus dem Ausland. Und wird nicht von Autoren direkt nach Deutschland exportiert. Sondern dafür gibt es: die Agenten. Die sitzen in einer kleinen Halle an kleinen Tischen, nichts vor sich ausser ein paar Listen und einem Becher Wasser, und empfangen im Halbstunden-Takt Verlagsleute, die wissen wollen: was die Agenten denn an neuer, unentdeckter bahnbrechender und bestsellerfähiger Literatur im Koffer haben. Auch wir von millemari. sind auf der Jagd nach dem Bestseller, besuchen Agenten, lassen uns dies und das zeigen. Aber die Jagd nach Bestsellern findet seit vielen Jahren ganzjährig statt - und die Frankfurter Buchmesse brauchts dafür kaum noch. Trotzdem: Businessmodelle - auch wenn sie in die Jahre gekommen sind - haben nun mal gewisse Beharrungskräfte. Das sollte man auch beim rückläufigen Buchgeschäft niemals außer Acht lassen.

Danach: ab in die Halle 8, die heuer in Halle 6 gepfercht wurde: Die Halle der Auslandsverlage. Sie war immer mein heimlicher Liebling, eine Messehalle, die mir immer wie das Abbild eines idealen Ortes erschien. Hier saßen die Auslandsverlage seit' an seit' und Nationen in merkwürdiger, seltener Eintracht: Inder verhandelten da mit Pakistanis, Russen mit Amerikanern, Amerikanern mit Arabern, Israelis mit allen. Was in der wirklichen Welt niemals stattfinden konnte: hier fand es statt, Buch vereinte sie alle, der Handel mit Buch und Buchrechten vereinte sie alle. Heute sind die internationalen Verlage auch noch da, angeführt von den großen amerikanischen Häusern. Für einen kleinen Verlag wie millemari. ist es wahnsinnig schwierig, bei den amerikanischen Verlagen einen Termin zu bekommen. Obwohl Susanne die Leute alle sehr gut kennt, ist es ihr nicht gelungen, bei den Verlagen, die uns interessieren, vorher Termine zu bekommen. "Fully booked out", hieß es vorher, "keine Termine mehr". Und obwohl an den Ständen wenig los ist und mancherorts die Damen gelangweilt am Stand sitzen: Bekommen wir auch vor Ort keine Termine. Man gibt sich blasiert. Empfangen wird, wer Namen hat - und das hat millemari. nun einmal nicht.

Trotzdem: hier ist neben der Halle der Agenten das zweite Zentrum: Was an Literatur in Deutschland auf die Büchertische kommt, kommt überwiegend aus USA, aus England, aus Skandinavien. Die aktuelle SPIEGEL-Bestsellerliste ist ein "Who-is-who" ausländischer Verlage. Und hier sind wir an der Quelle, dort, wo das alles herkommt. Die Zeit, in der ein deutschsprachige Autoren MIT FUG UND RECHT Furore machten, ist lang vorbei und der Literatur-Nobelpreis landet heute eher versehentlich im deutschsprachigen Raum, wenn er sich in der Zimmertür irrt und bei Elfriede Jellinek anklopft. Aber: auch hier schwächelt die Messe. Aus der großen, leuchtenden Halle 8 wurden die großen Verlage nun in die Halle 6 auf zwei Etagen gepfercht, an einem Vormittag sind wir nun durch, wofür wir zwei Tage eingeplant hatten, eben die großen amerikanischen Verlage abzuklappern. Als wir nach McGRAW-HILL, der einige schöne Segelbücher im Programm hat, heißt es gar: "Kurzfristig Teilnahme abgesagt" -  einer der größten US-Verlage, der für die angemeldeten 30 Leute kurzfristig entschied: Wir kommen nicht mehr nach Frankfurt. Schwund, an den sich Messe und Verlage längst gewöhnt haben.

Der Abend. Ich streife durch die Hallen, schaue mir Bücher an. Baden konnte ich in diesem Meer der Bücher schon immer. Ich freue mich über wunderschöne Cover, delektiere mich an buchverlagstechnischen Großtaten ebenso wie Schwachsinn gleichermaßen. Wenn er denn gut gemacht ist. Ich sammle Ideen. Treffe Andreas, der mich unter den Arm klemmt und mich mitnimmt auf eine der großen Messe-Veranstaltungen, die RANDOM-HOUSE-Party in Bockenheim. Er hat eine Eintrittskarte und schleust mich in die Veranstaltung, indem er mich als seinen Lebensgefährten ausgibt. Verheiratet sind wir zwar, aber eben nicht miteinander, aber "drin-ist-drin", und da ist nun ein weiteres Herz dieser Messe: der große abendliche Branchentreff. Hier sind sie alle: Der große THALIA-Einkäufer mit der Streifenkrawatte, an dessen unergründlichem Lächeln ich mir die Zähne ausbiss, vor


Dienstag, 13. Oktober 2015

Auf der FRANKFURTER BUCHMESSE, im Meer der Bücher: Tag 1. Das Interview im Fernsehen.


Im vorigen Post schrieb ich über mein bevorstehendes Interview beim HESSISCHEN RUNDFUNK. Und dann stand ich am Dienstag Abend in der ersten Kälte des Jahres in den Straßenschluchten Frankfurts. Zum 26. Mal auf der Buchmesse, und diesmal vor dem MAINTOWER, wo sich im 54. Stockwerk, direkt unter der Aussichtsplattform, das Studio des HR befindet, in dem die Sendung ALLE WETTER! mit Moderator Thomas Ranft produziert wird.


Ich rausche mit dem Aufzug hinauf in den 54. Stock und werde in einen großen Gästeraum geführt, mit roten Sofas geführt. Ein atemberaubender Blick hinunter auf den Main und die Stadt, die langsam im Dunkel versinkt. Ich bin allein in dem Raum. Nur der Wind pfeifft. Aber nicht der echte. Sondern der Aufzug, der wie eine Luftpumpe mit 20 Stundenkilometern Luft hin und her pumpt. Ein junger Redakteur empfängt mich. Ob das auch der Raum sei, in dem die Bundeskanzlerin auf ein Interview warten würde, frage ich ihn. Und er nickt knapp. Das lerne ich: Vor der Kamera sind alle gleich. 

Eine freundliche Dame von der Maske pudert mein Gesicht. Drei Minuten vor der Sendung sitze ich mit dem Moderator und dem Redakteur vor dem PC, wir rbingen noch schnell die Gewitterfotos, die gleich in der Sendung gezeigt werden, noch schnell in die richtige Reihenfolge. Oh je, da stehe ja überall ich als Autor drauf, nein, die Bilder sind alle von den Autoren - keine Zeit mehr, das zu ändern, der Moderator verschwindet aufs Dach, für die ersten Sendeminuten.

Und dann stehe ich im Studio. Blick aufs nächtliche Studio, irgendjemand wuselt mit Mikro an mir herum, der Moderator kommt vom Dach heruntergestürmt, macht sich für den Wetterbericht bereit, der Aufnahmeleiter zählt laut von 10 rückwärts, ich atme tief durch, drücke nochmal mein Kreuz durch. Wir sind live! Aber es ist so ganz anders: Thomas Ranft erzählt einfach etwas darüber, dass es in der nächsten Nacht Frostgefahr auf Brücken geben wird. Und dann steht er neben mir und stellt seine erste Frage. Weil ich nervös bin, habe ich mir vorgenommen, einfach so zu tun, als wär er mein alleiniges Gegenüber. Als hätte ich ihn einfach an der Bushaltestelle getroffen und erzähle ihm etwas über unser Buch, das vierzig Segler geschrieben haben. Und wie es ist, im Gewitter zu segeln. Das klappt gut. Nur merke ich, dass mein Mit-Busfahrer mich unauffällig immer wieterdrängelt, noch schneller zu erzählen. Lektion Nummer zwei: Live vor der Kamera ist echter Zeitdruck!

Und so schnell wie alles begonnen hat, ist alles vorbei. Ich sitze wieder in der Maske, die freundliche Dame nimmt mir und dem Moderator die Maske ab. Alles gut gelaufen. Und jetzt: hab ich nur noch Hunger. Ein schöner Italiener wäre jetzt was. Rotwein. Wärme. Eine warme Pasta. Beine ausstrecken. Was der Segler so macht, wenn er draußen war, den ganzen Tag, in der Kälte auf dem Meer.

Susanne hat einen Tisch reserviert. I SICILIANI. Als wir um neun endlich dort sind, nach langem Marsch durch die nächtliche Südstadt, weil kein Taxi da ist, ist das Lokal voll. Aber nicht mit Frankfurtern, nein. Sondern mit englisch sprechenden Verlagsleuten. Mit deutschen Lizenzfrauen, die sich mit angespannter Miene noch einmal über ihre Messetermine beugen. Randvoll mit Verlagsleuten. Und die Schlange vor uns: auch lauter kanadische Verlagsleute. Zumindest hier ist sie sich schon mal treu geblieben, die FRANKFURTER BUCHMESSE, in all den Jahren: Die guten Lokale, sie sind rappelvoll, am Abend. 

Und mein Abend in der Wärme, mit einem Rotwein, Fisch-Antipasti und einer heißen Pasta: der wird heute Abend erstmal nix. Jedenfalls erstmal.


                                         Weiterlesen: Über die FRANFURTER BUCHMESSE werde ich weiterhin posten. Lesen Sie also weiter. Hier jeden Tag.
                                          Weitersehen: Und hier der Link auf das Interview und die Sendung ALLE WETTER!

Sonntag, 11. Oktober 2015

GEWITTERSEGELN im Fernsehen: Am kommenden Dienstag, 13.10.2015 ab 19.00 Uhr in hr-Fernsehen.

Am kommenden Dienstag um 19 Uhr und hoch über den Dächern der Frankfurter Buchmesse: Moderator Thomas Ranft wird in seiner Sendung ALLE WETTER! in hr-Fernsehen das Buch GEWITTERSEGELN im Live-Interview mit mir vorstellen.

Nur selten habe ich in den vergangenen 30 Jahren die Frankfurter Buchmesse versäumt. Unter allen Messen, die mein Beruf im Verlagswesen im Lauf der Zeit mit sich brachte - und das waren viele - blieb die Buchmesse mir über lange Jahre die liebste. Viele viele Jahre und lang vor dem Internet war sie der Ort, an dem man als Verlagsmensch zeigte, was man unter großen Mühen in den vergangenen 12 Monaten an Büchern auf die Beine gestellt hatte. Und von denen, die Bescheid wissen, wie das ist, ein bisschen Lob oder im schlimmsten Fall Kritik bekam.

Die Eröffnung der Buchmesse 2015 am kommenden Dienstag werde ich in diesem Jahr anders als in früheren Jahren erleben: Als Interview-Gast in der Fernseh-Sendung von ALLE WETTER!-Moderator Thomas Ranft (links) im 54. Stock des Maintower im HESSISCHEN RUNDFUNK. Während am Dienstag Abend in den Hallen unter dem Messeturm noch Verlagsstände bestückt, Bücher über Bücher in Ausstellungsregale gestapelt und zum dritten Mal Regale umsortiert werden, werde ich wie der Gesprächspartner im Bild oben etwas erzählen: über unser Buch GEWITTERSEGELN. 

Für unseren Verlag millemari., der noch keine 10 Monate alt ist, eine echte Auszeichnung für dieses ungewöhnliche Buch, in dem 40 Segler ihre Geschichten erzählen, was sie auf einem Segelboot mitten im Gewitter auf dem Meer erlebten, was sie in dieser Extremsituation empfanden.

Ich bin sehr gespannt, wie das sein wird. Gewitter auf dem Meer habe ich viele erlebt: Schnelle und langsame, friedliche und biestige, harmlose und solche von heftiger und zerstörerischer Kraft. Daran gewöhnt habe ich mich nie, denn jedes Gewitter ist anders - und vielleicht ist das auch eine der vielen Lehren aus den 40 Stories, die unser Buch GEWITTERSEGELN so eindringlich wie eindrucksvoll versammelt. Und lesenswert macht. Ich hoffe sehr, dass ich stellvertretend für die 40 Segler, die Autoren genau dies in der Sendung ALLE WETTER! so rüberbringen kann, wie sie es spannend im Buch erzählen.

                       Wer die Sendung am kommenden 13.10 versäumt: Hier kann man den Mitschnitt sehen.
                       Weiterlesen über Gewitter hier auf MARE PIU: Ist es gefährlich, im Gewitter zu segeln? Hier!
                       Wer MARE PIU auf der Buchmesse erreichen möchte: Wir sind bis Freitag, 16.10. dort.  Einfach das Kontaktformular rechts außen benutzen.




40 Segler berichten ihre Erfahrungen.
In 8 Revieren.
Auf 272 Seiten.
Mit über 100 Fotos.
Mit mehr als 100 Learnings über richtiges Verhalten im Gewitter.





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