Wer war er bloß, der Mann, der uns in en Tagen Anfang Dezember im roten Mantel so oft auf Weihnachtmärkten, in Kaufhäusern und Kindergärten begegnet? Nur eine Legende, eine Idee? Oder gab es den Mann, den sie Sankt Nikolaus nennen, tatsächlich?
Die Spurensuche beginnt in der südlichen Türkei. Segelrevier-technisch gesprochen, lebte Sankt Nikolaus genau zwischen dem Golf von Fethiye und dem Golf von Antalya. Er war ein Kind dieser Küste, er ist hier aufgewachsen, er hat immer an dieser Küste gelebt, er hat sie nie verlassen. Zumindest als Lebender nicht.
Geboren wurde er zwischen 270 und 286 nach Christus im prosperierenden römischen Patara, keine Tagesreise südöstlich von Fethiye und der Gemiler Reede. Patara ist heute noch zu besichtigen, eine antike Ruinenstadt an der Küste, verlandet, versunken im wehenden Sand eines der schönsten, längsten Sandstrände der Türkei. Sein Onkel weihte ihn mit 18 zum Priester - zu einem Zeitpunkt, als Kirche heimlich und Christsein tödlich war. Vermutlich geriet er in die große diokletianische Christenverfolgung, die von 303 an 10 Jahre in einem letzten großen Aufbäumen versuchte, das Christentum gewaltsam zurückzudrängen, wie ein Hund die lästigen Flöhe abzuschütteln, die sich im Fell des römischen Staatsapparates festgesetzt hatten. Im Westen war man damit einigermaßen lax. Die Behörden in den Ostprovinzen des Reiches setzten die staatlich angeordnete Verfolgung mit grausamer Konsequenz um. Georg, Margarete und Katharina von Alexandrien waren nur einige prominente Zeitgenossen von Nikolaus, die dem Verfolgungsapparat zum Opfer fielen.
Blick auf die Gemiler Reede am Abend.
Nikolaus wurde vermutlich in dieser Zeit gefangen genommen, mißhandelt, wenn nicht gefoltert. Als man vor wenigen Jahren seinen Schädel in Bari aus dem Grab holte und einer Gesichtsrekonstruktion unterzog, stellte man fest, dass seine Nase zu Lebzeiten schwer gebrochen war und seitdem schief in seinem großen Gesicht saß. Die Gerichtsmediziner fanden heraus, dass er ein ungewöhnlich kleiner Mann gewesen sein muss: 1,60 groß. Aber mit bemerkenswert großen Kopf. In dem eine schiefe Nase saß.
Mit dem Jahr 313 endete die Christenverfolgung. Mehr noch: Christentum wurde Staatskult. Der Wind hatte gedreht. Auch in dem kleinen Ort Myra, dem heutigen Demre, ein paar Seemeilen südwestlich von Antalya und nahe der Hafenstadt Finike, wo LEVJE gerade liegt. Nikolaus war hier Abt, später wahrscheinlich Bischof.
Von den Kirchen hinunter zum Ankerplatz.
Es muss in diesen Jahren gewesen sein, dass er die Insel Gemiler besuchte und vielleicht auch einige Zeit hier auf der Mönchsinsel lebte. Vielleicht sogar kurz begraben war. Jedenfalls entstand auf dieser Insel um seine Person ein Kult: Kirchen wurden hier gebaut, ganz unten eine fast dirkt an der einzigen Anlegestelle der Insel. Eine allererste etwas entfernt. Auf halbem Weg hinauf zum Gipfel mit dem Friedhof eine weitere. Und im 7.Jahrhundert, etwa 400 Jahre nach Nikolaus Tod, auf dem Gipfel der Insel die prächtigste: Mit marmornen Sitzreihen in der Apsis für die Mönche. Und Mosaiken auf dem Fußboden. Gemiler muss eine Art Mönchsinsel gewesen sein in diesen Jahrhunderten. Ein Ort, an dem heilige Männer in einsamen Steinklausen verstreut über die Insel lebten und ihren einsamen Kampf mit Dämonen und Geistern ausfochten, so wie Jahrhunderte vorher der heilige Antonius oder der Heilige Hieronimus. Eine Insel voller Eremiten und mönchischer Gemeinschaften, die sich vor allem der Verehrung des heiligen Nikolaus widmete. Sie war auf diesen vergessenen Inseln besonders groß. Man erzählte sich viele, viele Geschichten von dem Mann aus Myra, der noch zu seinen Lebzeiten Feldherren im Kerker und Seeleuten im Sturm erschien. Und sie rettete aus Not und Bedrängnis.
Etwa fünf Kirchenruinen fand man auf der einstigen Klosterinsel Gemiler. Ruinen aus dem frühen bis späten Mittelalter, als die Osmanen über das Festland hinaus auf Meer und Inseln griffen und die byzantinischen Mönche die Inseln räumten. Bis dahin war Gemiler Reede, die Nikolaus-Inseln, ein wichtiger Hafen auf der Route ins Heilige Land. Ein "Must-See" für jeden Kreuzfahrer und einen jeden Pilger, um dem heiligen Nikolaus seine Verehrung zu bezeugen. Und damit auch ein ungewöhnlich prosperierender Hafen, dessen mittelalterliche Kaimauern, Reeden, Lagerhallen man heute noch die ganze Nordküste mit Staunen sieht.
Hier wollte man begraben sein: Eine Insel voller Gräber, Grabkammern, Beinhäuser, Totenhäuser. All das zeugt davon, wie verbreitet die Verehrung von Sankt Nikolaus über die Jahrhunderte war.
Im Insel-Inneren stehen mittelalterliche Ruinen an diesem Ort herum, es sind viele: dem heiligen Nikolaus geweihte Kirchen. In den Felsen gehauene Steingräber. Unzählige Totenhäuser vermeintlich bedeutender Menschen, die beim Erweckungsruf des jüngsten Gerichts nahe, nahe beim Heiligen und auf heiligem Boden sein wollten. Als Klassenprimus in der ersten Bank, sozusagen.
Die Verehrung riss auch nicht ab, als italienische Kaufleute im Herbst des Jahres 1087 die Gebeine des heiligen Nikolaus aus der heute noch stehenden Nikolaus-Kirche in Demre stahlen. Heiligenklau, Reliquien-Diebstahl war groß in Mode. Die Liste prominenter Heiligen, die in diesen Jahren angeblich "zum Schutz vor heidnischen Seldschuken" aus Gräbern christlicher Kirchen gerissen und zufällig nach den größten Hafenmetropolen Italiens "schützend" verfrachtet wurden, ist lang: San Marco nach Venedig. Sankt Andreas nach Amalfi. Sankt Matthäus nach Salerno. Sankt Johannes der Täufer nach Genua. Sankt Thomas nach Orthona. Jede mächtige Hafenstadt dieser Zeit brauchte einen Apostel in ihren Mauern. Oder das, was von ihm noch übrig war.
Der Mann im roten Mantel: Ob hochmittelalterliches Abbild des Sankt Nikolaus oder nicht:
Diese Malerei hat sich in einer Kirchenwand von Gemiler - wenn auch beschädigt -
über sechs, sieben Jahrhunderte erhalten.
Die Kaufleute, die die Gebeine von Sankt Nikolaus klauten, waren vergleichsweise spät dran bei diesen Ereignissen. Sie waren aus Bari, und vermutlich war die Mission lange geplant, mit der sie die Gebeine von Sankt Nikolaus heimlich nach Bari schafften. Wo noch heute jedes Jahr vom 7.-9. Mai die Ankunft der Gebeine von San Nicolà, denn so heißt er hier, in der Stadt mit großem Brimborium, Umzügen, Herumtragen der Reliquien des San Nicolà in der Stadt und im Hafen gefeiert wird. Und hier ruht er auch noch heute. Wenn nicht gerade eine Gesichtsrekonstruktion, ein Umzug oder anderer Trubel seinen ewigen Schlaf stören.
Weiterlesen bei: Was Sie über das Segeln in der Türkei wissen müssen.
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Vor 2 Jahren Anfang Oktober lagen wir mit unserer Sun Odyssey in Gemiler Reede und hatten genau diese Bilder vor Augen. Wg. dem "Nikolaus" sind wir erst spät losgekommen. Auf halbem Wege nach Göcek gerieten wir in heftiges Unwetter mit Hagel und waagrecht daher fliegendem Wasser - von oben wie von unten, wie mir schien. Kurz vor unserem Ziel überfiel uns dann noch ein schweres Gewitter in kürzester Distanz, Blitz und Donner waren eins....
AntwortenLöschenBernhard - der SeeBer
Hallo Bernhard,
AntwortenLöschenein Kommentar, sehr treffend, wie er die Bedingungen im frühen Oktober dort an der Küste beschreibt. Es hat schon seine ganz eigenen Reize, das Segeln im Herbst in der südlichen Türkei. Danke, dass Du gepostet hast,
Grüße
Thomas